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Jedes Lernen beginnt mit der Erregung von Aufmerksamkeit, die dazu führt, dass unsere Sinneszellen einen Reiz aufnehmen und als elektrischen Impuls ins Gehirn leiten. Dort wird er sortiert und weiterverarbeitet, um schließlich im Kortex (Großhirnrinde) als Wissensbestand zu landen. Klingt nach einem Sonntagsspaziergang, ist es aber nicht – auf seinem Trip ins Gedächtnis muss der Reiz nämlich so manches Hindernis überwinden.

Das Thema Lernen fasziniert dich? In der aktuellen Ausgabe findest du ein ganzes Dossier zum Lernenlernen. Für weitere inspirierende Geschichten für ein gutes Leben wirf einen Blick hinein! Hier kannst du carpe diem mit tollen Prämien abonnieren oder als Einzelheft bestellen.

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Limbus als Türsteher

Die knifflige Mission beginnt schon mit der Flut an Wahrnehmungen, die sekündlich auf uns einprasseln: Von elf Millionen Reizen nehmen wir gerade einmal etwa vierzig bewusst wahr. Warum nur so wenige? Weil das limbische System, ein Gehirnareal unter dem Kortex, den strengen Türsteher gibt. Es ist der Ort, an dem unsere Gefühle entstehen, und somit wesentlich an allen Erinnerungs- und Lernprozessen beteiligt.

Klopfen die eingehenden Daten nun bei ihm an, checkt der Limbus sie in Sachen Dringlichkeit, Wichtigkeit und Neuigkeit ab, vergleicht und bewertet sie emotional. Sind die Infos spannend, bedrohlich oder ungewöhnlich? Haben sie einen Alltags- oder Interessenbezug, und können sie einfach in bereits vorhandene Gedächtnisinhalte integriert werden?*

Wenn ja, kriegt der Reiz das Gütesiegel „subjektiv bedeutsam“ und darf weiter ins Kurzzeitgedächtnis. Das ist ein wichtiger Zwischenspeicher für akut relevante Informationen, etwa, wo wir den Autoschlüssel hingelegt haben oder wen wir gleich zurückrufen wollen.

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Lernen im Laufe des Lebens

Lernen im Laufe des Lebens

Experten sind sich einig: Unser Gehirn wird bis ins hohe Alter laufend umgebaut, es bleibt also lernfähig. Der Ablauf dieser Prozesse nimmt in unterschiedlichen Lebensphasen aber unterschiedliche Formen an. Weiterlesen...

Abrufen und priorisieren

Jetzt wird die Spreu vom Weizen getrennt. Für 90 Prozent der Daten ist hier wieder Endstation, und sie werden nach wenigen Sekunden bis Minuten gelöscht oder überschrieben. Ist eine Info hingegen so relevant für uns, dass wir sie auch morgen und nächste Woche noch brauchen werden, wird sie schließlich ins Langzeitgedächtnis überführt.

Das ist der Speicher für alles, was wir im Leben erfahren und erlebt haben, also gelernte Fakten (die Hauptstadt von Italien), persönliche Ereignisse (unser erster Kuss) und Fertigkeiten (Bewegungsablauf beim Radfahren). Die Kapazität ist nahezu unendlich, und die Daten bleiben von ein paar Wochen bis lebenslänglich archiviert.

  • Viele der Erinnerungen sind „passiv“ geschaltet und lassen sich nur mithilfe eines Schlüsselreizes, etwa eines Geruchs, wiederfinden.

  • Für faktisches Wissen gilt hingegen: Je häufiger wir es abrufen, desto höher priorisieren wir es – dementsprechend schnell steht es uns dann wieder zur Verfügung.

Neurons wire together, when they hire together

Donald Hebb, kanadische Neuropsychologe

Gleiche Neuronen aktivieren

Jetzt zoomen wir im Gehirn noch näher heran und werfen einen Blick auf das, was beim Lernen in den Nervenzellen passiert – also jenem weitverzweigten Wegenetz, das die Daten für ihre Reise ins Langzeitgedächtnis benutzen: Wenn wir etwas üben, etwa bestimmte Gitarrenakkorde, bekommen die Nervenzellen, die an dieser Lernerfahrung beteiligt sind, viel mehr Input als gewöhnlich.

Gleicher Input aktiviert auch immer die gleiche Gruppe von Nervenzellen. Das führt dazu, dass viel mehr elektrische Impulse (= Informationen) als sonst über die Synapsen – das sind die Kontaktstellen zwischen zwei Nervenzellen – laufen. Außerdem löst jeder ankommende Impuls in der nächsten Zelle gleich mehrere neue Impulse aus. Der Informationsfluss zwischen den Zellen wird so immens verstärkt – und damit auch ihre Verbindungen.*

Neurons wire together, when they hire together (dt.: „Neuronen, die zusammen feuern, verdrahten sich“) postulierte bereits 1949 der kanadische Neuropsychologe Donald Hebb* – und je öfter sie gemeinsam feuern, desto fester und effizienter werden ihre Verknüpfungen. Es bilden sich komplexe Netzwerke (Neuronenpopulationen), und die sind, voilà, nichts anderes als fester Wissensbestand. Gehirnscans zeigen übrigens, dass sich dieser Zustand bereits nach etwa zwanzig Minuten Musizieren einstellt.

Gehirn passt sich an

Lernen bedeutet für das Gehirn also, neue Verknüpfungen zu bilden, und Wiederholungen bedeuten, sie zu festigen und besser zu nutzen. Das funktioniert ähnlich wie ein Trampelpfad durch einen üppig wuchernden Wald: Je häufiger wir ihn gebrauchen, desto leichter zugänglich wird er für uns. Wir finden ihn schneller wieder und bewegen uns immer besser auf ihm fort. Vernachlässigen wir ihn aber, wuchert er wieder zu.

Jedes Mal, wen wir nun etwas Neues lernen, wird das betroffene Netzwerk umstrukturiert, indem das neue Wissen an das bereits bestehende andockt. Diese Fähigkeit des Gehirns, sich der Umwelt und ihren Anforderungen immer wieder neu anzupassen, heißt neuronale Plastizität. Ihr verdanken wir nicht nur, dass wir uns in unbekannten Umgebungen orientieren, neue Situationen meistern und bei komplexen Situationen den Durchblick behalten, sondern sie ist auch Fundament jeden Lernens.

*Sämtliche Quellen und weiterführende Literatur zu diesem Dossier findest du unter carpediem.life/lernen