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Er ist unfassbar nett, eigentlich müsste man schon unfassbar lieb sagen, aber das schickt sich nicht. Auf meine Frage, wie alt er mich einschätzt, antwortet Prof. DDr. Johannes Huber: „Fünfundfünfzig.“

Hat er ein Händchen für Komplimente? Ich bin 68 und nur noch 15 Monate entfernt von den 70. Okay, 70 ist das neue 60, sagt man, und 68 das neue 58, und so gesehen liegt er gar nicht so weit daneben. Aber der Professor hat noch eine andere Erklärung für das Phänomen, denn als er einmal den Dalai Lama kennenlernen durfte, hatte er bei den Mönchen, die Seine Heiligkeit umgaben, diesbezüglich dasselbe Problem.

„Bei Menschen, die meditieren, ist das Alter immer schwer einzuschätzen“, sagt der Professor und schaut mich freundlich an. Wir sind in seiner Wiener Ordination gegenüber dem Belvedere, aber so, wie es hier aussieht, könnte diese Praxis für Frauenheilkunde auch direkt im Schloss untergebracht sein. Das Mobiliar, die Gemälde, das Licht, die Stimmung, alles hier ist grundgütiges „K. u. k.“. Er selbst natürlich auch. Prof. DDr. Johannes Huber ist Arzt und Theologe.

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In seiner katholischen Karriere hat er es bis zum persönlichen Sekretär von Franz Kardinal König gebracht, in seiner medizinischen zum Chef der Abteilung für Endokrinologie (Hormonlehre) und Reproduktionsmedizin an der Uni Wien; er hatte auch die Leitung der Frauenklinik im AKH sowie den Vorsitz der Bioethikkommission inne.

DDr. Johannes Huber ist der bekannteste Fachmann für intermittierendes Fasten.

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Aber mittlerweile – und auch schon etwas älter – macht der 74-Jährige halblang und schreibt mit beachtlichem Erfolg Bücher über die Wohltaten des intermittierenden Fastens. Der saloppe Boulevard hat ihn bereits „Diätpapst“ genannt. Das Erstaunliche daran: Er schreibt gut. Das hatte ich nicht erwartet, als ich sein letztes, mehr oder weniger gerade erschienenes Werk „Die Anti-Aging Revolution“ in die Hand genommen habe. Dieser Kombination aus Kompetenz, Humor und gutem Stil wäre ich sogar gefolgt, wenn ich kein vitales Interesse am Thema 16/8 gehabt hätte.

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Ich sage ihm das, und der Professor freut sich darüber, so wie ich mich über die „Fünfundfünfzig“. 16/8 ist die Formel für die wahrscheinlich beliebteste Diät aller Zeiten, die Zukunft natürlich ausgenommen – denn man weiß ja nie, was kommt und noch besser funktioniert, als acht Stunden alles zu essen und zu trinken, wie es beliebt, und dann sechzehn Stunden nichts mehr außer Wasser, Kaffee oder Tee. Ich mache das seit einem Jahr jeden Tag und bin nicht nur wieder so rank und schlank, wie ich es damals als Jugendlicher einmal gewesen bin, sondern habe auch nicht das geringste Problem damit, weil von den sechzehn Stunden Fasten die Hälfte verschlafen wird.

Nach zwei Monaten hatte ich 20 Kilo verloren – und damit mein komplettes Übergewicht.

Die Rechnung geht so: Zwölf Stunden braucht der Körper, um sämtliche Kalorien der letzten Mahlzeit aufzubrauchen, nur in den letzten vier Stunden des Intervalls „Fasten“ greift er auf die Fettreserven zurück. Aber das jeden Tag. Nach zwei Monaten hatte ich 20 Kilo verloren – und damit mein komplettes Übergewicht. Allerdings verzichtete ich in dieser Zeit auch auf Alkohol, Kuchen und Erdbeereis. Danach nicht mehr, und ich halte trotzdem mein Idealgewicht.

Das war die gute Nachricht. Eine schlechte gibt’s nicht, nur noch eine weitere gute: Nach sechzehn Stunden Fasten recyceln sich die Zellen. Sie tun das immer bei Energieknappheit, warum, weiß ich nicht (muss ich auch nicht). Die beschädigten Zellteile werden als Bausteine zur Zellerneuerung genutzt, und was dabei herauskommt, ist vielleicht nicht „forever young“, aber „young“ doch ziemlich lang. Das ist der Anti-Aging-Aspekt, und auch der funktioniert bei mir wie geschmiert. Der Professor hat’s ja eben selbst gesagt. So weit gehen wir d’accord, aber es gibt in seinem Buch für uns auch Konfliktpotenzial.

Bild: Andreas Jakwerth

Ich gehe das intermittierende Fasten nämlich anarchistischer an als er. Möglicherweise auch unchristlicher. Ich lege mich erst gegen drei Uhr nachts ins Bett und stehe gegen Mittag wieder auf. Darum esse ich spätestens um 22 Uhr zum letzten Mal und frühstücke dann um 14 Uhr. Adam Riese nickt das ab – das sind sechzehn Stunden intermittierendes Fasten. Aber der Professor schreibt in seinem Buch: Nein, nein, nein, die letzte Kalorienzufuhr darf nicht später als um vier Uhr nachmittags erfolgen, das Frühstück nicht später als acht in der Früh.

Und da mache ich ganz sicher nicht mit. Denn das ist nicht Wissenschaft für mich, das ist Aberglaube, frei nach Goethe: „Die Uhr, die schlägt bald Mitternacht, das Gute schläft, das Böse wacht.“ Darüber möchte ich mich mit dem unfassbar netten Professor DDr. Johannes Huber gern einmal ein bisschen streiten, aber da macht er nicht mit. Er lacht.

Ach, wissen Sie, ich bin Mitglied im Wiener Toleranzclub.

„Ach, wissen Sie, ich bin Mitglied im Wiener Toleranzclub. Außerdem war, ist und bleibt das oberste Gebot in der Medizin die Befindlichkeit. Wenn Sie sich damit wohlfühlen, gibt es kein Problem.“ Das wäre also geklärt. Und was bleibt nun noch mehr zu tun, als ein bisschen im Park von Schloss Belvedere zu flanieren, weil es der Fotograf so will, und dabei – auch ein bisschen – über Dopamine zu philosophieren, diese fabelhaften Glückshormone aus dem Drogendepot des Gehirns? Es belohnt uns damit, wenn wir das Richtige tun. Für uns, für die Art, für die Welt. Steckt da Gott dahinter oder die Evolution? „Beide“, sagt der Professor.

Ich stimme ihm zu, es stimmt auf jeden Fall, egal wie man es dreht: Der Ungläubige sagt: Die Evolution ist Gott. Der Gläubige sagt: Gott arbeitet evolutionär. Das ist zwar durchaus ein unterschiedliches Weltbild, aber es ist auch völlig egal, wenn man glücklich ist. Weil man richtig isst und richtig fastet, richtig denkt und richtig redet. „Was glauben Sie, was bei einem Gespräch wie diesem hier in unserem Gehirn los ist!“, sagt der Professor. „Das gleicht einem Dopaminsturm.“

Dünn sein wirkt in der zweiten Lebenshälfte tatsächlich wie ein Medikament.

Wieder fühle ich mich geschmeichelt, denn zu einem guten Gespräch gehören immer zwei, außerdem ist der Tag für diese Jahreszeit glücklicherweise viel zu warm. Die Sonne scheint, leicht ist mein Gang. Vor einem Jahr fühlte sich das noch anders an. 20 Kilo mehr, das meiste davon in meinem Bauch. Im Nachhinein erscheint mir das, als hätte ich ständig und überall einen vollen Bierkasten mit mir herumgeschleppt.

Die Schwere bin ich los, zudem – und da geben meine Erfahrungen dem Professor recht – stärkt das Intervallfasten ganz außerordentlich unser Immunsystem. Früher war ich zwei-, drei- und oft auch viermal im Jahr schwer erkältet – mit Bronchitis und allem Drum und Dran –, aber in meinem 16/8-Jahr ist das nicht ein einziges Mal passiert. „Dünn sein wirkt in der zweiten Lebenshälfte tatsächlich wie ein Medikament“, sagt der Professor dazu.

Bild: Andreas Jakwerth

„Sind Sie ein Asket?“, frage ich. „Wie kommen Sie darauf?“, fragt der Professor. „Nun, ja, Sie schreiben in Ihrem Buch, dass man sich beim intermittierenden Fasten daran gewöhnen muss, mit einem neuen Partner ins Bett zu gehen. Und dieser Partner heißt Hunger. Partner ist ein anderes Wort für Verbündeter, und nur Asketen nennen den Hunger so. Alle anderen nennen ihn Feind.“

Falls der Professor Zeit brauchen sollte, um meine Frage zu überdenken, dann reicht ihm eine Sekunde. Askese sei nur ein Wort aus dem Griechischen, erfahre ich. Es leite sich von dem Verb askeín ab. „Das heißt ‚üben‘. Und wir alle müssen üben, um besser zu werden“, sagt er, während wir im Park auf Altherrenart Prinz Eugens bildschönes Schloss bewundern, zu dem sich der Himmel gerade wie eine perfekte Leinwand verhält.

„Denn die Erde ist eigentlich ein asketischer Planet.“

PROF. DDR. JOHANNES HUBER, 74, ist Arzt, Theologe und Autor.
Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Einfluss gesunder Lebensführung
auf Hormone und Alterungsprozesse.

HELGE TIMMERBERG, 68, ist Deutschlands berüchtigtster Tramp und Weltenbummler. Seine Reisereportagen sind Bestseller.