In Partnerschaft mit

Mein Name ist František Mlynář. Ich bin 41 Jahre alt, Autor, lebe in Budweis, Tschechien. Dass ich Narzisst bin, weiß ich seit etwa einem Jahr. Meine damalige Freundin machte mich darauf aufmerksam. Sie erklärte mir, was das ist, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Sie sagte: „Du hast das.“ Sie gab mir ein Buch in die Hand: „Lies das.“ Und sie sagte auch noch: „Adieu.“

„Gestatten, ich bin ein Arschloch“ hieß das Buch. Autor ist Pablo Hagemeyer, ein deutscher Psychotherapeut. Man verwendet den Begriff Narzissmus im üblichen Sprachgebrauch synonym mit Eitelkeit oder Selbstverliebtheit. Ich habe in Hagemeyers Buch gelernt, dass das zu kurz greift.

Narzissmus entsteht in einem Erwachsenen, der als Kind zu wenig oder zu viel Zuwendung oder Liebe erfahren hat oder die falsche Zuwendung oder Liebe. Zum Beispiel war man als Kind wahnsinnig stolz auf seine guten Schulnoten, aber man wurde immer nur für seine hübschen Haare gelobt – oder umgekehrt. Jedenfalls hat Zuwendung eine alles bestimmende Bedeutung im Leben des Narzissten, Narzissmus ist eine Art Suchtkrankheit der Anerkennung, des Im-Mittelpunkt-Stehens, eine krankhafte Gleichzeitigkeit von Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn. Ein Narzisst kann nicht mit sich selbst allein sein, weil er die Spiegelung durch andere braucht – in immer höherer Dosis.

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Und wie jeder Süchtige wird er mit den Jahren immer skrupelloser und genialer darin, an die Droge heranzukommen. Der Narzisst wird immer charmanter, witziger, leistungsfähiger, interessanter, erfolgreicher, lauter, er wird immer virtuoser darin, Menschen zu manipulieren. Und all das geschieht so schnell und so selbstverständlich, dass er es selbst gar nicht bemerkt. Seine Sucht treibt ihn in eine schreckliche Genialität. Was nun folgt, ist ein Interview, das ich mit Pablo Hagemeyer führte. Es wurde letztlich kein Interview daraus, sondern eine Art therapeutisches Gespräch unter Leidensgenossen, denn Hagemeyer ist selbst bekennender Narzisst. Aber keine Angst, er ist ein netter; wahrscheinlich sogar netter als ich.

Ein Narzisst kann nicht mit sich selbst allein sein, weil er die Spiegelung durch andere braucht – in immer höherer Dosis.

Herr Hagemeyer, Sie sind bekennender Narzisst, und Sie sind auf das Thema als Psychiater und Psychotherapeut spezialisiert, haben Bücher darüber geschrieben und sogar einen NarzissmusTest mit 50 Fragen zusammengestellt, jedes „Ja“ ist ein Hinweis auf eine narzisstische Störung.
Pablo Hagemeyer: „Auf wie viele Jas haben Sie’s gebracht?“

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Auf 27.
„Spannend wird’s ab etwa 35. Also Sie sind gar kein so schlimmer Fall.“

Meine Ex-Freundin ist anderer Meinung. Sie meint, sie habe mich und meine narzisstische Störung mithilfe Ihres ersten Buchs durchschaut. Ihr Buch habe ihr dann auch den letzten Anstoß gegeben, sich von mir zu trennen.
„Oh, sorry.“

Ich kann es ihr ja nicht verübeln. Ich habe mich in Ihrem Buch auch wiedererkannt, manchmal habe ich mich sogar ertappt gefühlt. Als Sie etwa geschrieben haben, dass man den Narzissten am wirkungsvollsten durch Lob entwaffnen kann… Das stimmt, ist mir aber davor nie aufgefallen.
„(Lacht.) Ja, das funktioniert immer. Die Allzweckwaffe für den täglichen Umgang mit dem Narzissten. Sie müssen nur Acht geben, dass Ihr Lob nicht zu vordergründig gerät. Das durchschaut der Narzisst sofort. Das solcherart entlarvte Lob nimmt er Ihnen besonders übel.“

Ich weiß seit vergangenem Jahr, wie es sich anfühlt, Opfer eines Narzissten zu sein. Ich hatte einen Job in einem kleinen Verlag angenommen, und mein Chef war ein Albtraum. Jemand, auf den Ihre Beschreibung des sadistischen Narzissten verblüffend genau passt, jemand, der Leute systematisch hinrichtet, der sich selbst zugleich in der Opferrolle inszeniert …
„… typisch …“

…ich habe nach Ihrer Beschreibung sogar mein Verhalten ihm gegenüber gestaltet, um zu sehen, wie er reagiert, und Sie hatten recht. Mit allem! Bis in die Details! Jede einzelne Reaktion von ihm konnte ich vorhersehen! Sogar als ich gekündigt habe – nachdem er monatelang nichts anderes getan hatte, als mich zu beschimpfen, zu terrorisieren –, verhielt er sich genau wie in Ihrem Buch prognostiziert: Er inszenierte sich als Opfer: Ich lasse ihn im Stich – nach all den Monaten, in denen er sich für mich aufgeopfert habe, und so weiter.
„Ich bin überrascht, dass er Ihnen nicht gedroht hat.“

Hat er ja! Ich hätte ihm mit meiner Arbeit Schaden zugefügt. Er wollte mich verklagen – es war wie im Horrorflm.
„Herrlich. Ein Bilderbuch-Fall! (Lacht.)“

Opfer eines Narzissten zu werden, das brachte mich zum Nachdenken: Bin ich auch so ein wahnsinniger Tyrann, so perfde, so ein Lebensvampir, nur merk ich’s selber nicht? Ich würde meinen Narzissmus gerne besser kennenlernen, ich hätte gerne von Ihnen eine Art Betriebsanleitung für mich – vielleicht anhand von ein paar Fragen aus Ihrem Narzissmus-Fragebogen?
„Legen Sie los!“

Gleich Frage 1, ein Narzissmus-Klassiker: „Wird Ihnen oft vorgeworfen, arrogant oder eingebildet zu sein?“ Klares Ja bei mir, aber klares Nein bei meinem Ex-Chef, dafür beherrscht er Understatement viel zu perfekt. Frage 2 ist ja gleich der nächste Klassiker: „Fühlen Sie sich intellektuell den meisten überlegen?“
„Kennen Sie meinen narzisstischen Lieblingsspruch? ‚Aus deiner Perspektive sieht Niveau arrogant aus.‘“

Dass wir solche Sprüche lustig finden, macht uns aber nicht wirklich zu Sympathieträgern
„Oh, sympathisch sein, das können wir. Nur ist es wahnsinnig anstrengend. Das ist auch häufig unser Problem in Beziehungen: Jemanden zu erobern, darin sind wir großartig. Aber jemanden erobert zu haben, das langweilt uns zu Tode. Ich habe das Glück, dass meine Frau selbst ein ausgesprochen narzisstisches Talent hat. Wir füttern einander mit Anerkennung, und wir können über den eigenen Narzissmus und den des Partners lachen. Das ist manchmal eine Kunst, aber sie ist es wohl, die uns zusammenhält.“

„Sind Sie bei Kritik leicht zu kränken?“ Frage 7 hat mich überrascht. Schließlich gelten Narzissten doch als knallhart, unsensibel.
„Im Gegenteil! Es gibt Wissenschaftler, die sind da anderer Meinung, aber ich halte Kränkungen für eine ganz zentrale narzisstische Triebfeder. Die schlimmste Kränkung ist Kritik vor anderen. Kritik unter vier Augen, die kann der Narzisst noch nehmen, wenn sie elegant in einen Trojaner verpackt wird. ‚Du bist ja großartig und der Beste überhaupt, aber in diesem winzigen Detail hast du ein wenig Mist gebaut‘ – so können wir das nehmen. Aber wenn wir vor anderen kritisiert werden? Dann kommt Scham dazu – uh, mit einem gekränkten und beschämten Narzissten wünsche ich Ihnen viel Vergnügen. Der ist eine entsicherte Handgranate.“

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Frage 12 spielt aufs Gegenteil an: „Erwarten Sie Lob und Anerkennung von Ihrer Umgebung?“ Na hören Sie, nichts erwarten wir so sehr und für nichts sind wir bereit mehr zu tun, nicht?
„Wir tun alles dafür! Es hat manchmal richtig was von Prostitution, wie wir um Anerkennung kämpfen, ringen, buhlen, betteln. Wir sind sehr geschickt darin, es zu verbergen, sind aber verzweifelt abhängig davon.“

Frage 20: „Nutzen Sie andere Menschen für Ihre Zwecke aus?“
„Ja, leider, aber tun wir Narzissten das nicht alle? Natürlich tun wir’s. Aber wir geben’s nicht gerne zu. Sie sind ja ein Netter, Sie geben’s zu. Sie haben auch Frage 21 verneint, gell?“

„Haben Sie in Ihrem Leben eigentlich etwas erreicht?“ Ja. Da sag ich nein.
„Na sehen Sie. Die Egomanen, die unreflektierten Idioten, finden es unwiderstehlich geil, wie geil sie sind. Der selbstkritische Narzisst, so einer wie Sie, der wird eher sagen: Nein, so viel hab ich eigentlich nicht erreicht.“

Wie viele unter uns sind eigentlich nett? Und wie viele sind egomanische Katastrophen?
„Ich würde sagen, das ist normalverteilt. Ein Drittel Idioten, ein Drittel Normale, und ein Drittel sind wirklich charmante, nette, witzige Narzissten, die ihre Umwelt kaum belasten.“

Und wie ist das Verhältnis von Männern und Frauen?
„Ich halte die Dunkelziffer für höher, aber man geht davon aus, dass etwa sieben Prozent der Männer und vier Prozent der Frauen Narzissten sind. Und die wirklich Bösen sind unter einem Prozent.“

Sie schreiben auch, dass in jedem von uns ein bisschen Narzissmus sein muss, damit wir überhaupt überleben können. Es gibt also gesunden Narzissmus?
„Und wie! Es gibt diesen Test von Craig Malkin, der das auf eine Skala von null bis zehn zieht. Null bedeutet: ‚Ich bin komplett unwichtig, und meine Existenz hat keinen Sinn.“ Mit einer Null sind Sie der perfekte Antinarzisst, und ein perfekter Antinarzisst zu sein ist sehr ungesund.“

Frage 40: „Sind Sie hungrig und werden nie satt?“ Damit meinen Sie wahrscheinlich nicht mein Essverhalten, sondern so eine generelle Lebensunzufriedenheit.
„Ja, dieses Grundgefühl aus der Kindheit, nicht das Richtige gekriegt zu haben, an Liebe, an Anerkennung. Wir haben deswegen auch nicht gelernt, damit umzugehen. Eine Art emotionale Ess-Brech-Störung, wenn Sie so wollen. Im Kern geht es uns Narzissten immer um Anerkennung. Darauf lässt sich alles zurückführen. Wir kriegen nie genug davon, und wenn wir sie kriegen, wissen wir nicht, was wir damit anfangen.“

Sie schreiben auch, dass Narzissmus nicht heilbar ist. Man kann die Symptome lindern, aber man kriegt die Scheiße nie ganz weg. Was soll ich denn jetzt mit mir machen? Sollte man als Narzisst nicht am besten mit einem Warnschild durch die Gegend laufen?
„Suchen Sie sich Freunde, die Ihnen auch die Wahrheit sagen – in einer Weise, die Sie annehmen können. Das gibt Ihnen Sicherheit und Halt, zumindest ein wenig. Als Narzisst sind Sie ja in Ihrem Innersten wahnsinnig unsicher. Sie kennen das Gefühl der Sicherheit gar nicht, deswegen trösten Sie sich selbst, Sie streicheln oder kratzen sich am Kopf, Sie knabbern an den Fingernägeln, Sie trinken mehr Alkohol, als Ihnen guttut – so ein Typ sind zum Beispiel Sie.“

Hm.
„Schauen Sie nicht so traurig. Es gibt da noch ganz andere Kaliber. Es gibt Typen, die wirklich anderen bewusst schaden, denen macht das Spaß, anderen wehzutun, diese sadistisch-narzisstische Kombination, das ist wirklich übel. So jemand sind Sie nicht. Ihr Ex-Chef war wohl so einer. Wenn Ihnen was Böses passiert, dann eher aus einer narzisstischen Not heraus oder auch aus fehlgeleitetem Idealismus, aus Perfektionismus, weil Sie eben wollen, dass auf der Welt gewisse Dinge genau so laufen und nicht anders. Sie haben Ideale, was moralische oder politische Ansichten betrifft, Sie handeln ja in bester Absicht. Und wenn diese Ideale dann jemand verletzt, dann empfinden Sie das als Hochverrat.“

Okay, Freunde suchen. Gut. Kann ich sonst noch was machen? Was raten Sie solchen wie mir, die bei Ihnen zur Therapie kommen? Also Narzissten, denen hin und wieder was Schlimmes passiert, die aber aufhören wollen, sich selbst und anderen zu schaden?
„Seien Sie zunächst einmal nicht so hart zu sich. Gehen Sie ein bisschen liebevoller mit sich um. Was Ihnen hilft, das ist, Selbstempathie zu üben, zu meditieren, tief in sich reinzuspüren. Das tut Ihnen gut. Über den Verstand kommen Sie nicht dorthin, wo es wehtut. Sie sind ja liebesbedürftig. Das Medikament, das Ihnen am besten hilft, ist Liebe: Selbstliebe und die Liebe anderer.“

Liebe heilt Narzissmus? Wir Narzissten können Liebe doch nicht annehmen!
„Können wir doch, wenn sie vom Richtigen kommt – also zunächst einmal von uns selbst. Beginnen Sie damit. Üben Sie, sich selbst zu lieben und Liebe von anderen anzunehmen.“

Und wenn ich das kann, wird alles gut?
„Ja. Die Narzissten, die offen sind für so was, die sozusagen am Verstand vorbei sich selbst tief wahrnehmen können, die spüren können, dass da tief drinnen Trauer ist, die beruhigen sich dann. Deren suchende Seele kommt zur Ruhe. Die können dann in eine Art Liebesakt mit sich selbst gehen, der sie besänftigt und tröstet – mehr als alles andere Äußere. Diese Selbstliebe hat nichts zu tun mit ‚Oh, wie toll bin ich!‘ oder so einem Scheiß. Das hat vielmehr zu tun mit Sätzen wie ‚Ich liebe mich so, wie ich bin, mit allen Schwächen und Dellen und Unzulänglichkeiten‘. Das tröstet Sie, Sie werden’s sehen, und dieser Trost wird vielleicht ein bisschen was von diesem seelischen Hunger stillen, den Sie haben.“

Das stand aber nicht in Ihrem Buch.
„Ja, das sag ich Ihnen jetzt einfach so, und auch nur unter vier Augen. Dann können Sie’s ja annehmen.“