Das Longevity-Tagebuch von Stephanie Fuchs-Mayr erscheint als Serie. Die Folgen 1-5 kannst du hier nachlesen. Die jeweils aktuelle Folge der Woche findest du jeden Donnerstag im carpe diem Newsletter.

Was bisher geschah:

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Folge 6

Tag 48: Stabil labil

Mein Start in den Tag folgt nun einer neuen, angenehmen Routine: duschen, Zähne putzen, Kaffee kochen und zu meinen Overnights-Oats (Haferflocken, zuckerfreies Kokos-Joghurt, Chia-Samen, Mandeln, Heidelbeeren) eine Runde NEM einwerfen. Dann 20 Minuten Hanteltraining, Rechner hochfahren und bis 13 Uhr arbeiten. Eine Stunde Mittagspause, danach weitere drei Stunden Arbeit.

Nach dem Mittagessen noch einmal bis 17 Uhr konzentriert und produktiv zu arbeiten, war in der Vergangenheit eine echte Challenge. Seitdem ich bessere Kohlehydrate, mehr Ballaststoffe, weniger tierisches Protein und keinen Zucker konsumiere, und meinem System alles an Vitaminen und Nährstoffen zuführe, was es benötigt, um zu funktionieren, fällt es mir bemerkenswert leicht.

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Der guten Ordnung halber sei erwähnt: Mit der abendlichen Bildschirmabstinenz läuft es nicht so gut. Die neu gewonnene Me-Time konsequent mit populären Me-Time-Dingen wie Waldbaden zu füllen, gelingt mir einfach nicht – was mich stresst. Ich erkundige mich bei Sandra, wie mit diesem Scheitern am besten umzugehen sei?

Sie ist sehr nachsichtig mit mir und findet, ich sollte auch nachsichtig mit mir selbst sein. Eine stabil labile 80%-Performance-Stephie sei nämlich besser als eine 100%-Performance-Stephie im stressbedingten Cortisol-Dauerhoch.

Abends fläze ich mich deutlich reueloser auf die Couch, lasse mich von einer Netflix-Doku berieseln und beschließe, meine Schwächen und Unzulänglichkeiten zwischendrin auch mal liebevoll zu umarmen.

Dopamin-Drache

Vanessa Lovegrove

Folge 7

Tag 59: Die Bändigung des Dopamin-Dealer-Drachens

Es ist ein wunderschöner Tag, in meiner Straße tobt das Leben, in mir das Chaos. Ich versinke in Aufträgen. On top ist heute der Todestag meiner Mutter, was mich wehmütig macht, und morgen mein Geburtstag, was mich in Panik versetzt. Von den Menschen, die ich absurderweise zur Party in einem Stadtheurigen eingeladen habe, gibt es nur wenige glühenden Verfechter eines Lebensstils, der freudvolle Lebensverlängerung zum Ziel hat. Ehrlich gesagt: nur einen.

Während ich frustriert, erschöpft und traurig versuche, leere Seiten mit Worten zu füllen, wird mir das erste Mal seit Beginn dieses Tryouts bewusst, wie sehr das Gummibärchen, der Spritzer oder das frisches Roggensauerteigbrot meine Lebensfreude-Spender, vor allem aber mein Trost sind. Die Glücksgefühle, die sie mir bescheren, sind flüchtig, aber real. Sie jazzen mein Belohnungssystem hoch, umarmen mich, halten mich. Das kann auch der beste Ofen-Hokkaido der Welt gerade einfach nicht leisten.

Ich kann mir förmlich dabei zusehen, wie sich meine Willenskraft verabschiedet. Die Disziplin, das gute Gefühl, es im Griff und verstanden zu haben: alles schwindet dahin. Ich kann an nichts anderes mehr denken als an den Kick, den mir jetzt ein Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat und ein eiskaltes Bier bescheren würden.

„Reiss dich zusammen, du Junkie!“, plärre ich mich selbst an, was nicht hilfreich ist, weshalb ich alternativ dazu den Liebsten am Telefon anplärre, der mir dazu rät, meine davongaloppierenden Emotionen bei einem Spaziergang einzufangen.

Es dauert, bis ich diese erste Riesenwelle aus Scham, Ärger und Überforderung abgesurft habe und bereit bin, sie an der Schwelle der Haustüre zurückzulassen, so, wie man den Nachwuchs im IKEA Kinderparadies abgibt: Ich hab euch lieb, viel Spaß im Bällebad, ich geh mich kurz neu einrichten, gell, tschö!

Die Abendsonne hängt schon lässig am Horizont, als ich vor die Türe trete, um mein Hirn zu waschen. Das klappt in den ersten Minuten Gehzeit so gut, wie einer Kuh das Fliegen beizubringen. Mich begleiten zigtillionen existenzielle Gedanken, außerdem hängen Scham, Ärger und Überforderung immer noch trotzig an meinem Hosenbein.

Nach 30 Minuten zielloser Geherei aber wird es in meinem Kopf immer stiller. Einfach so ist der Dopamin-Dealer-Drache müde geworden vom Warten darauf, dass ich mir endlich irgendwo einen Hot-Dog reinpfeife. Das ist ein Erweckungsmoment: Ich habe mich gerade zurück in meine Mitte spaziert! Wow!

Aber was ist morgen? Morgen, entscheide ich, hat die „Ich-verzichte-und-genieße-trotzdem“-Stephie Urlaub.

Tag 60: A Kind of Magic

Geburtstagsparty erfolgreich geschlagen. Ich habe Kopfweh vom Wein, und die Selchfleischwürsteln, das Sauerteigbrot und der Emmentaler-Ziegel liegen mir im Magen. Trotzdem: ich bereue nichts. Auch, weil das, was für mich immer ganz normal war, heute besonders war. Heute hatte der Genuss eine Magie, von der ich fast schon vergessen hatte, dass sie existiert.

Filterbrille

Vanessa Lovegrove

Folge 8

Tag 72: Look Mum, no hands!

Bin wieder auf Ich-voll-verbesserlich-Kurs und freue mich darüber, dass mir auf diesem Weg immer noch – und immer wieder neue – gute Dinge passieren. So wie vor drei Tagen. Da habe ich nämlich endlich damit aufgehört, über meine neue Verpflegungsroutine augenüberdrehend zu jammern.

Das kam so: Beim Picknick-Saisonfinale im Park habe ich mir, wieder einmal mein alkoholfreies Bier umklammernd, als würde ich das bleierne Elend der gesamten Menschheit in Händen halten, erstmals bewusst beim Motzen über zu Erleidendes zugehört.

Puh, was für eine unerträgliche Leier! Und wie dumm und einfältig, Mitleid zu haschen, nur, um mir am Ende selbst noch mehr leidtun zu können!

Ich fühlte mich nämlich in Wahrheit gar nicht elend mit diesem alkoholfreien Bier in der Hand, im Gegenteil. Das Zeug schmeckte passabel, ich war klar im Kopf und hatte Spaß. Es gab keinen Grund dazu, nicht stolz zu Protokoll zu geben, wie positiv sich dieses ganzes Gutzumirselbersein auf mein körperliches und seelisches Wohlbefinden auswirkte.

Warum machte ich das dann nicht? Weil Angeberei nicht ins Großstadtmilieu passte? Bescheiden das neue cool war? Was für ein Blödsinn.

Also habe ich auf die Frage eines neu hinzugestoßenen Picknick-Gastes, wie denn dieses seltsame Getränk in meine Hand und diese kärgliche Saatenbrot-Stulle auf meinen Teller kämen, ganz lässig geantwortet: „Hab beschlossen, mich besser um mich zu kümmern. Fühlt sich sehr gut an. Magst ein Stückerl von meinem Brot kosten?“

Pillen

Vanessa Lovegrove

Folge 9

Tag 95: Wahrheit und Pflicht

Der Tag, an dem offiziell der Herbst beginnt, ist zugleich das Ende meines Experiments. Yippie, denke ich nach dem Aufstehen, geschafft! Unter der Dusche kommt mir der Gedanke, dass jetzt doch eigentlich der beste Zeitpunkt wäre, sich endlich wieder genüsslich fünf Tassen Kaffee in den Schlund zu prügeln, die Haferflocken den Motten zum Fras zu überlassen und meinen Terminkalender mit Restaurant- und Weinbar-Dates zuzupflastern.

Überraschenderweise habe ich zehn Minuten später immer noch keine Lust darauf. Was ist da los? Bin ich jetzt am Ende doch zu einem Fan des Verzichts geworden? Gar zu einer von denen, die aus der Abstinenz eine moralische Überlegenheit ableiten, geschlagen mit der Arroganz der Tugendhaften?

Ein wenig verwirrt setze ich mich an den Rechner und beginne aufzuschreiben, was ich gerade fühle. Verzicht, schreibe ich, ist anstrengend. Er tut weh, macht manchmal einsam und tröstet nicht. Aber er ist ein gutes Hilfsmittel, um sich der eigenen Konsumgewohnheiten bewusst zu werden und sie zu hinterfragen. Er hilft auch dabei, das als selbstverständlich Hingenommene zu etwas Besonderem zu machen.

Ich bin dankbar, schreibe ich, für die Erfahrung, auch im nüchternen Zustand gute Partys feiern zu können und von meinen Freunden für meine Alkoholabstinenz nicht nur mitleidige, sondern auch viele anerkennende Worte geerntet zu haben. Und dass ich froh darüber bin, neben energiereicheren Tagen, ruhigeren Nächten und einer normal funktionierenden Verdauung auch neue Wahrheiten geschenkt bekommen zu haben.

Allen voran die, dass man auch genießen kann, ohne irgendwann zwangsläufig in ein Stück Camembert zu beißen oder sich ein Glas Wein einzustellen. Und dass das Andersessen in Kombination mit gezielter Nährstoffzufuhr, mehr Bewegung und weniger Bildschirmzeit mit mir und meinem Körper tatsächlich etwas Gutes gemacht haben.

Mir ist bewusst, dass die größte Herausforderung noch auf mich wartet: Den Geist alles Guten in den Alltag zu retten. Bis jetzt aber, wo du diese Geschichte liest, ist mir noch kein guter Grund eingefallen, mir nicht ab und an ganz freiwillig den Käse vom Brot und das Weinglas aus der Hand zu nehmen, oder den Tag mit einer Runde B-Vitamine, D3, Magnesium und Omega-3-Fettsäuren zu beginnen.

Selbstversuch

Vanessa Lovegrove

Folge 10

Meine persönliche Better-Me-Bilanz

  1. Mein Haushaltsbudget wurde einem kleinen Stresstest unterzogen. Für die – okay, Ferraris - unter den Funktionstests und Nahrungsergänzungsmittel habe ich insgesamt ein knappes Monatsgehalt berappt. An dieser Stelle sei aber auch erwähnt: Gut die Hälfte meines Monatsgehalts habe ich bisher für deutlich ungesündere (Dinner-Orgien, Champagnervorräte …) und unangenehmere (Privatarzttermine) Dinge ausgegeben.

  2. Als kinderlose Selbstständige fiel es mir vergleichsweise leicht, meine neue Ernährungs- und Lifestyle-Routine zu pflegen. Menschen mit Hundewelpen, Kindern oder wenig experimentierfreudigen Partnern werden möglicherweise noch einen Tick mehr Organisationstalent und Disziplin beweisen müssen, als ich.

  3. Die Zufuhr von Vitamin D3, B-Vitamine, Omega-3-Fettsäuren und Magnesium lässt mich tatsächlich besser schlafen, arbeiten und verdauen. Meine Entzündungswerte sind nachgewiesenermaßen am Tiefpunkt, ebenso wie mein Homocysteinspiegel, der zuvor ähnlich übertrieben hoch war wie Paul Bocuses Kochmützen.

  4. Blaulichtfilterbrillen sind ein optisches Verhütungsmittel, machen aber einfach Sinn.

  5. Ein Leben ohne Alkohol, Milchprodukte, Zucker und leere Kohlehydrate ist lebenswert und genussreich. Schwöre.

  6. Ein Leben, in dem Alkohol, Milchprodukte, Zucker und leere Kohlehydrate trotzdem erlaubt sind, ist noch lebenswerter und genussreicher. Schwöre.

Autorin Stephie Fuchs-Mayr arbeitet als Werbetexterin und Journalistin für unterschiedlichste Medien und Agenturen. Seit 2014 liegt ihr Fokus im Kulinarik-Bereich. Ihr mutiges „Projekt: Selbstverbesserung“ ist ihre erste Arbeit für carpe diem. Jeden Donnerstag erscheint eine neue Folge.

Über die Expertin

Dieser Selbstversuch wurde begleitet von Sandra Handlbauer-Zrust. Sie ist promovierte Sozial- und Wirtschaftswissenschafterin, Gründerin und CEO von Aspirant Health. Die registrierte Ernährungstherapeutin ist derzeit die einzige in der DACH-Region gelistete „Registered Nutritional Therapist“, die am weltweit führenden US-amerikanischen Institute for Functional Medicine zertifiziert ist.

Was ist funktionelle Medizin?

Funktionelle Medizin (engl. „functional medicine“) ist ein ganzheitlicher Ansatz zur Gesundheitsversorgung, der sich darauf konzentriert, die Grundursachen von Krankheiten zu finden und zu behandeln, anstatt nur die Symptome zu bekämpfen. Dabei wird der Körper als ein vernetztes System betrachtet, in dem alle Teile zusammenwirken. Für die Behandlung werden die genetischen, biochemischen und Lebensstilfaktoren einer Patientin oder eines Patienten analysiert, um einen individuellen Behandlungsplan zu erstellen. Mehr darüber erfährst du hier: Europäischen Gesellschaft für Funktionelle Medizin (EGFM)

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