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„Was suchst du eigentlich auf deinen Reisen?“, werde ich oft gefragt. „Nichts“, sage ich dann gerne. „Ich suche nichts, ich finde“.

Das soll nicht pseudo-weise klingen. Das ist tatsächlich meine Überzeugung, und ich habe sie auf die harte Tour gelernt. Wer sich etwas Bestimmtes in den Kopf setzt, steht sich damit nur selbst im Weg und wird am Ende oft enttäuscht. Weil das, was am Ziel auf einen wartet, immer anders ist, als man es sich vorgestellt hat. Es ist nicht besser oder schlechter. Aber anders.

Wer sich etwas Bestimmtes in den Kopf setzt, steht sich damit nur selbst im Weg und wird am Ende oft enttäuscht.

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Meine Freunde nehmen mir das mit der „Ich finde“-Philosophie nicht ganz ab. Sie unterstellen mir: „Du suchst doch eigentlich nur einen tropisch warmen Platz, an dem du dich niederlassen und kiloweise Porzellan und Stoffservietten kaufen kannst.“ Dazu muss man wissen: Handgefertigtes Geschirr und Stoffservietten sind ein heimlicher Fetisch von mir. Und dass ich alles unter 20 Grad Celsius als Folter und einen Fall für die Ganzkörper-Heizdecke ansehe, schreibe ich meinem niedrigem Blutdruck oder einer karmischen Vergangenheit als Tropenprinzessin zu.

„Ich war an den schönsten und heißesten Flecken der Erde“, sage ich dann zu jenen, mit denen ich diskutieren will. „Alles Traum-Destinationen. Aber ich bin nirgendwo hängen geblieben.“ Weil es entweder nicht bei mir und den Leuten klickte. Oder manchmal war ich einfach gelangweilt von der vielen Schönheit. Mir fehlte das Kontrastprogramm, so schlimm das klingt.

Ich war an den schönsten und heißesten Flecken der Erde. Alles Traum-Destinationen. Aber ich bin nirgendwo hängen geblieben.

Palmenschatten am Standstrand in Rio de Janero

Bild: Waltraud Hable

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Seit Corona kann ich nicht weiterreisen. Als die Welt zum Stillstand kam, war ich gerade in Brasilien angekommen, und ich beschloss, entgegen aller Warnungen, in Rio de Janeiro zu bleiben. Ich bin bis heute hier und habe es keine Sekunde bereut, trotz irrem Präsidenten, instabiler politischer Lage und einem maroden Gesundheitssystem.

Als die Welt zum Stillstand kam, beschloss ich, in Rio de Janeiro zu bleiben, und habe es in keiner Sekunde bereut.

Als ich vor ein paar Tagen am Strand spazierte, sagten mein Hirn und mein Herz plötzlich: „Das ist es.“ Rio ist der Platz, an dem ich mich wirklich zu Hause fühle. Obwohl ich so gut wie kein Portugiesisch spreche, weder Freunde noch Familie hier habe, die Quarantäne erlaubt den Ausbau sozialer Kontakte nicht. Ich bin mutterseelenallein hier – und trotzdem oder deswegen fühle ich mich mit der Stadt mehr verbunden als mit allen vorangegangenen Destinationen. Ich könnte mir sogar vorstellen, hier eine Wohnung zu kaufen (hätte ich das Geld dafür, seufz).

Dabei haben Rio und ich eine nicht ganz glückliche Vorgeschichte.

Dabei haben Rio und ich eine nicht ganz glückliche Vorgeschichte. Mein Herz wurde hier vor Jahren, als ich zum ersten Mal auf der Durchreise war, gebrochen. Als ich zum Zuckerhut zurückkehrte, hatte ich Angst, dass die Geister der Vergangenheit mich jagen würden. Aber sie taten es nicht. Ich bekam so viele wunderschöne Erlebnisse geschenkt – Samba, durchgetanzte Nächte, malerische Sonnenuntergänge, Lebensfreude –, dass die Vergangenheit schnell vergessen und der Moment zu schön war, um ihn nicht zu lieben.

Was ist es, das mich in Rio „ankommen“ lässt? „Das ist nur, weil du durch Corona endlich mal länger an einem Platz bist und dich damit richtig mit einer Stadt auseinandersetzen musst“, hat meine Freundin C. gemeint. Sie ist Unternehmensberaterin und betrachtet die Dinge gerne nüchtern. Und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr weiß ich: „Nein, so einfach ist es nicht.“

Mit Wien habe ich mich 20 Jahre lang auseinandergesetzt, ohne große Gefühle zu entwickeln. Rio ist anders.

Mit Wien, wo ich mir nach dem Studium ein Leben aufbaute, habe ich mich 20 Jahre lang auseinandergesetzt, ohne große Gefühle zu entwickeln. Rio ist anders. Diese Stadt ist von einem sozialen Spannungsfeld zerrissen – teure Boliden mit chirurgisch getunten Schönheiten brausen an Obdachlosen vorbei, in den Favelas müssen Millionen Menschen in Wellblechhütten ohne sauberes Wasser leben. Es gibt Korruption und Kriminalität. Um komfortabel, sowie sicher in Rio leben zu können, brauchst du Geld. Aber es ist der Platz, an dem ich so leben kann, wie ich will, ohne dass ich mich anstrengen oder verbiegen muss. Ich weiß, die nächsten Zeilen lesen sich oberflächlich, aber Rio erfüllt vieles von dem, was mir wichtig ist.

Zum einen ernähre ich mich gerne bewusst. Mein Körper muss mich noch weit tragen, also bin ich besser gut zu ihm. An Brasiliens grüner Küste muss man gesunde Alternativen nicht suchen, man kommt alle paar Meter an einer Saftbar oder an einem Obststand vorbei.

Obstmarktstand in Rio de Janero

Bild: Waltraud Hable

Dazu gibt es Fisch- und Gemüsemärkte, Kokosnüsse, die Wunderbeere Açai. Was ich auch mag: In dieser Stadt herrscht sportlicher Gruppenzwang, auf die gute Art. Man findet Surfer, Radfahrer und Jogger am Strand. In Parks werden Klimmzüge gemacht, Slacklines gespannt, CrossFit-Trainings angeboten und man tanzt Samba.

In dieser Stadt herrscht sportlicher Gruppenzwang, auf die gute Art.

Ich war noch nie in besserer Form als jetzt, aber vor allem habe ich ein entspanntes Körpergefühl entwickelt, meine Shorts sind für mein Alter unangemessen knapp, aber ich fühle mich gut dabei. Dazu kommt: Rio fühlt sich nicht wie eine Großstadt an, der Dschungel und das Meer sind immer nur einen Steinwurf entfernt. Der vielleicht wichtigste Heimat-Punkt für mich: Ich fühle mich temperaturtechnisch verstanden.

Die Cariocas, die Einwohner Rios, sind diesbezüglich Seelenverwandte. In Rio herrscht tropisch warmes Klima, bis auf die Monate Juni und Juli, dann ist Winter und die Temperaturen fallen auf 20 Grad.

Kokosnuss Drink am Strand

Bild: Waltraud Hable

Für die Einheimischen eine Katastrophe, sie packen ihre Daunenjacken aus, manche davon haben sogar Fellbesatz. Man leidet melodramatisch, will nicht ins Freie gehen, die Straßen und Parks sind leerer als sonst, es heißt, sogar die Papageien verhalten sich wie Pinguine. Ich finde das hochgradig sympathisch. Ich muss mich nicht erklären, wenn ich zwei Shirts übereinander trage und meinen Hals in Kaschmir einwickle.

Mein Vater, kein Freund der Heizung, hat mich die gesamte Kindheit leiden lassen. Ich habe viele Jahre meines Lebens unter der warmen Bettdecke verbracht. Meine Geschwister mögen es anders empfinden, aber meine Jugend ist mir als Eiszeit in Erinnerung. „Beweg dich einfach mehr“, hat mein Vater nur gemeint, wenn ich mich beklagte. „Dann wird dir warm.“ –„Bist du sicher, dass ich nicht adoptiert bin? Vielleicht habt ihr mich aus den Tropen geholt? Ihr könnt es mir gerne sagen, ich bin nicht böse“, meinte ich. Mittlerweile denke ich: Vielleicht haben sie mich aus Rio geholt.

WEITER: Der König von Ipanema: Ein Held ohne Podest