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Manchmal kommt man Orte, an denen man automatisch weiß, was zu tun ist. Rio de Janeiro, die Brasilien-Metropole, in der man klitzekleine Bikinis mit riesengroßem Selbstvertrauen trägt, ist so eine Stadt. Ich war auf meiner ersten Weltreise schon mal hier. Damals habe ich mich Hals über Kopf in einen Kanadier verliebt und bin so viel am Strand herumgelegen, dass ich zu Recht überlegte, den Titel „Girl from Ipanema“ für mich zu beanspruchen.

Manchmal kommt man Orte, an denen man automatisch weiß, was zu tun ist.

Rio de Janeiro

Bild: Raphael Nogueira/Unsplash

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Bei meinem ersten Besuch hörte ich den Ruf nur ganz verhalten – und ignorierte ihn. Jetzt war er sehr laut. Mein Herz und Rio brüllten: „Leb endlich deine Weiblichkeit aus!“ Wenn an jeder Ecke Samba zu hören und zu sehen ist, kommt man zwangsweise auf solche Ideen. Überall kreisende Hüften und wackelnde Hinterteile.

Mein Herz und Rio brüllten Leb endlich deine Weiblichkeit aus!

Die Krux an der Sache ist nur: Mit der Femininität habe ich so meine Probleme. Äußerlich mag ich durchaus Insignien der Weiblichkeit zelebrieren, dank einer Vorliebe für roten Nagellack, Miniröcken und blonder Strähnen im Haar. Aber innerlich, da fühle ich mich manchmal wie ein Mann.

Äußerlich mag ich durchaus Insignien der Weiblichkeit zelebrieren, aber innerlich fühle ich mich manchmal wie ein Mann.

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Typen halten mir selten die Türe auf oder tragen meine Einkaufstaschen, ich strahle offenbar aus: „Spar dir Mühe, ich bin wie du, nur mit Brüsten.“ Und sobald ich den Mund aufmache und die Herren der Schöpfung darüber informiere, was mir alles so durch Kopf geistert, ist die Sache sowieso zum Vergessen. Irgendwann stöhnen sie und befinden: „Das ist ja nett, aber gibt’s dich auch einfacher?“

Irgendwann stöhnen sie und befinden Das ist ja nett, aber gibt’s dich auch einfacher?

Dazu kommt: Auf den Typus Weibchen, der mit falschen Wimpern klimpert und den Vorbau bis zum Kinn hochschnallt, reagiere ich allergisch. Wahrscheinlich aus Neid. Denn auch in Rio wird viel mit den Wimpern geklimpert, und die Kurven werden schamlos in Szene gesetzt – aber hilflose, hirnamputierte Weibchen sind das nicht. Im Gegenteil: Diese Frauen spielen gekonnt mit ihren Reizen und sind dabei so stark und selbstbewusst, dass es kein Mann wagt, sich mit ihnen anzulegen.

In Rio spielen die Frauen gekonnt mit ihren Reizen und sind dabei so stark und selbstbewusst, dass es kein Mann wagt, sich mit ihnen anzulegen.

Zeit also für Samba in Rio de Janeiro. Wenn schon, denn schon.

Und was soll ich sagen? Eigentlich hatte ich gedacht, die Sache könnte mir liegen. Samba ist schnell, man kann auch alleine tanzen. Und: Samba ist herrlich dekadent. Am Karneval tragen die Tänzerinnen die tollsten Feder-Glitzer-Kreationen auf dem Kopf. Außerdem ist der Tanz für meinen Geschmack ehrlicher als Tango, den pseudo-erotischen Dancefloor-Nahkampf habe ich einmal in Argentinien ausprobiert, und die kleingewachsenen Männer, von denen ich mich führen lassen sollte, nun ja, das war nichts für mich …

Sambatanzschule in Rio

Bild: Waltraud Hable

Eigentlich hatte ich gedacht, die Sache könnte mir liegen. Samba ist schnell, man kann auch alleine tanzen. Und Samba ist herrlich dekadent.

Die Realität sieht allerdings so aus, dass meine Lehrerin in Ipanema – Carla Campos, eine ehemalige Samba-Queen – regelmäßig Sorgenfalten kriegt, wenn ich in ihrem Studio auftauche. Sie ist der geduldigste Mensch der Welt, und sie kann mit dem Hintern wackeln, dass einem schwindlig wird, aber gegen fehlende Körperkoordination und steife Hüften ist auch sie mitunter machtlos.

Meine Lehrerin in Ipanema kriegt Sorgenfalten, wenn ich in ihrem Studio auftauche.

Samba und Carla zeigen mir Sachen aus meinem Leben auf, die ich längst vergessen oder verdrängt habe. Dass ich etwa als kleines Mädchen keinen Sport getrieben habe – ich war gut im Tagträumen und ein ziemlich gut genährtes Kind – rächt sich jetzt. Arme und Beine gleichzeitig bewegen, geschweige denn, es elegant zu tun? Klappt nicht. Mein Hirn hat null Körperkoordination gespeichert. Und mein Unterleib ist steif wie der einer 100-Jährigen.

Mein Unterleib ist steif wie der einer 100-Jährigen.

Immer wenn ich versuche, meine Hüften geschmeidig zu bewegen, sieht das aus, als hätte ich mir etwas verrenkt. Es ist, als würde sich mein Herz weigern, alles, was im Unterleib an Emotionen und Sehnsüchten gebunkert ist, rauszulassen. Carla klatscht mir dann auf den Hintern und ruft „Tadschke, tadschke, tadschke!“. Sie spricht kein Englisch und ich bezweifle, dass „Tadschke“ ein portugiesisches Wort ist, aber ich verstehe, was sie will. Sie will mehr Schwung und Gefühl. Einzig, meine Hüften machen da nicht mit.

Waltraud Hable (l.) und ihre Sambalehrerin in Rio

Bild: Waltraud Hable

Carla klatscht mir dann auf den Hintern und ruft ‚Tadschke, tadschke, tadschke!‘

Und so stehe ich schwitzend vor dem Spiegel im Tanzstudio und bin teilweise blind vor Wut und Frust über die fehlende Verbindung zu meinem Körper. Auch andere Teilnehmerinnen, ebenfalls Reisende, hadern.

Hüften schwingen gilt in Europa und in den USA als aufreizendes Verhalten und als unschicklich für Mädchen. Man könnte ja falsche Signale an die Männerwelt aussenden. Also macht man es besser nicht.

„Ich habe sieben Wochen gebraucht, bis ich meinen ersten runden Hüftschwung zustandebrachte“, tröstete mich eine Amerikanerin. „Aber auf einmal ging’s, es war, als würde sich in meinem Inneren etwas lösen. Im Unterleib, da sitzen die Emotionen. Gib dir Zeit und sei nett zu dir.“

Im Unterleib, da sitzen die Emotionen. Gib dir Zeit und sei nett zu dir.

Carla, meine Lehrerin, sieht das ähnlich. Immer, wenn ich eine Schrittfolge zumindest 30 Sekunden halten kann, jubelt sie mir zu. Sie ist die personifizierte Frauensolidarität. Das – und die bunten, lauten Samba-Nächte in Rio – halten mich davon ab, hinzuschmeißen. Geht man hier in eine Bar mit Live-Musik geht, schmiegen Paare ihre Hüften so aneinander, dass man beschämt zu Boden blickt. Neulich habe ich einem kleinen, dicken Mann einen Tanz abgeschlagen. Ich habe es bitter bereut, denn der Kerl forderte schließlich eine ähnlich talentfreie Bekannte auf und wirbelte sie derart gekonnt herum, dass sie aussah wie eine verdammte Profi-Tänzerin.

Carla, meine Lehrerin, ist die personifizierte Frauensolidarität.

„Tadschke, tadschke, tadschke. Dein Körper ist genauso gebaut wie meiner. Wenn ich das kann, kannst du das auch“, trichtert Carla mir unermüdlich ein. Dann zwingt sie mich, mich im Wandspiegel des Studios anzuschauen. „Lächle“, sagt sie. „Versuch’s nochmal.“

Und ich glaube langsam, Rio ist nicht nur eine Lektion in Sachen Weiblichkeit. Es bringt mir auch in puncto Durchhaltevermögen was bei. Ich habe schon vieles hingeschmissen, mit einem überheblich gefauchten „Das habe ich nicht nötig, das bringt doch nichts“. Diesmal will ich durchbeißen.

Diesmal will ich durchbeißen.

Bei Samba bin ich ein wie ein Kleinkind. Ich kann nichts. Nada. Niente. Aber das ist nicht die schlechteste Ausgangsbasis, wie die menschliche Natur zeigt. Ein kleines Kind schmeißt nicht hin. Es muss krabbeln lernen. Sitzen. Gehen. Essen. Es macht einfach immer weiter. Es hat keine andere Wahl, als über sich hinauszuwachsen. In diesem Sinne: Tadschke, tadschke, tadschke. Nächster Blogeintrag: Waltraud macht unterwegs einen Sprachkurs und erfährt inspirierende Lebensgeschichten.