In Partnerschaft mit

Alexandra Reinwarth („Am Arsch vorbei geht auch ein Weg“, „Glaub nicht alles, was du denkst“) schreibt keine Ratgeber, sondern Projekt-Bücher. Sie probiert aus, wir schauen zu – und im besten Fall amüsieren wir uns und entdecken dabei die eine oder andere Strategie für uns selbst.

„Auf meine Schwächen ist wenigstens Verlass. Wie du entspannst, wenn du deine Fehler liebst“: So lautet der Titel deines Buches. Geht’s da um liebenswerte Verschrobenheiten oder um tatsächliche Macken?
Alexandra Reinwarth: „Ich gebe zu, dass ich meine Leser mit den ‚Schwächen‘ ein bisschen hereingelegt habe. Aber nur deshalb, weil das Wort ‚Fehler‘ immer gleich nach schlechter Laune, Versagen und Tränen klingt. Ich meine nicht Schwächen im Sinne von Vorlieben, wie etwa meine für Toffifee …“

… sondern Schwächen im wahren Wortsinn, also unsere Schwachstellen?
„Genau. Unvollkommenheit, Unzulänglichkeit – eben all die unschönen Dinge, die unser Leben so viel chaotischer, unvorhersehbarer und schwieriger machen, aber obendrein auch so wunderbar.“

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Inwiefern machen unschöne Dinge unser Leben wunderbar?
„All diese Schwächen und Fehler, sogar die dicken Dinger, machen uns menschlich und sympathisch. Und zwar uns alle, weil wir alle Fehler haben.”

Aber nur, weil man weiß, dass auch andere Schwächen haben, mag man die eigenen nicht automatisch lieber …
„Natürlich nicht. Aber wir fühlen uns am meisten mit denjenigen verbunden, mit denen wir mitfühlen können. Nähe entsteht mit anderen genau dort, wo wir unsere Unperfektion zeigen – und trotzdem angenommen werden.“

Fehler schaffen im besten Fall also Nähe. Was tun sie sonst noch für mich?
„Sie machen uns immer wieder darauf aufmerksam, wo es bei einem hakt. Das ist zwar lästig, aber auch hilfreich. Ich kann zum Beispiel bemerken, dass ich in Gegenwart meiner Mutter immer zickig werde – und das erst mal so stehen lassen. Ich kann aber weiterdenken und es auch als Hinweis meines Systems sehen. Dass da irgendetwas im Argen liegt, um das ich mich mal kümmern könnte.“

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Aber ganz ehrlich: Würde ich meinem System permanent zuhören, müsste ich mich ständig um irgendwas kümmern. Wo fange ich da an?
„Zuerst einmal muss uns klar sein, dass die Art und Zahl der Fehler, die wir so machen können, schier unendlich ist. Es gibt solche, von denen man schon im ersten Moment weiß, dass sie Fehler sind. Bei anderen schüttelt man erst im Nachhinein über sich selbst den Kopf und fragt sich, was einen da nur geritten hat. Es gibt lustige und dämliche Fehler, ja, sogar schöne Fehler! Manche macht man, obwohl man sogar zuvor gewarnt wurde; und dann kommen die kleinen und mittelprächtigen Fehler, die später in geselliger Runde gerne zu Anekdoten werden.“

Und all diese Fehler können unsere Freunde sein?
„Ja, außer die, die wir nie begangen haben. Die können wir nie zu den Akten legen.“

Wie ist das zu verstehen?
„Hat etwas nicht geklappt, suchen wir nach den Gründen. Wir finden Erklärungen und haken es früher oder später ab. Dinge, die wir aus Angst vor einer falschen Entscheidung oder einem schlechten Ausgang aber gar nicht getan haben und nun bedauern, nagen wesentlich länger an uns.“

Spricht da die persönliche Erfahrung?
„Auch. Aber es ist wissenschaftlich belegt. Der amerikanische Psychologe Neal Roese hat etwa ein ganzes Buch über Reue und ihren Nutzen geschrieben. Er kommt zu dem Schluss, dass Reue ein hilfreiches Instrument unseres Gehirns ist, um uns weiterzuentwickeln. Wer sich mit falschen Entscheidungen beschäftigt, mag zwar kurzzeitig mit sich hadern. Aber es schärft auch den Blick für kommende Situationen.“

Fehler, die wir nie begangen haben, können wir nie zu den Akten legen.

Alexandra Reinwarth, Autorin

Und trotzdem gibt es dieses Bauchgefühl, das uns lenkt bzw. von etwas abhält. Soll ich das ignorieren, nur um die Chance nicht zu verpassen, einen Fehler zu begehen, der mich irgendwann vielleicht weiterbringt?
„Nein, aber oft ist dieses sogenannte Bauchgefühl einfach nur Schiss. Wir verwechseln Intuition und Schiss gerne. Schiss, diese Angst, die bei jeglichen Vorhaben das ‚Lieber nicht!‘-Schild hochhält, erkennt man aber gut daran, dass sie Schreckensszenarien entwirft. Das tut das Bauchgefühl nicht.“

Apropos Bauch: Eine Emotion, die sich genau da gern verkriecht, ist Wut – oft mit schwerwiegenden Folgen. Wo liegt hier verstecktes Potenzial?
„Wut ist ein mitunter herrliches Gefühl. Für alle, die ein bisschen zu sehr verinnerlicht haben, dass sie bloß nicht zu viele Ansprüche stellen sollen und ja nicht aggressiv auftreten dürfen und immer nett zu sein haben, kann Wut eine wunderbare Hilfe sein!“

Aber einfach toben und schimpfen oder gar Schlimmeres geht auch nicht …
„Es gibt da einen Trick: Um wutmäßig die Spreu vom Weizen zu trennen, lasse ich zwischen meiner Wut und meiner Aktion, wie etwa einer bösen E-Mail, eine Nacht oder zumindest einen langen Spaziergang ins Land ziehen. Dann hole ich den Text an die ewig verpeilte Schwester oder den unverschämten Installateur aus dem Entwürfe-Ordner und lese ihn noch einmal durch. Nur um sicherzugehen, dass ich jedes Wort genau so meine – und erst dann klicke ich auf ‚Senden‘“.

Und was ändert das, außer dass diese deutlichen Worte später ankommen?
„Viel! Weil ich so dafür sorge, dass ich weder die Aktion noch ihre Folgen bereue. Ich verbuche sie nicht als Fehler, sondern feiere sie als Befreiungsschlag.“

Aktives Zuhören bedeutet: kein Herunterspielen, kein Ablenken, kein Witzeln, keine Trostversuche.

Alexandra Reinwarth, Autorin

Wandern wir vom Bauch zum Herzen weiter: der Brutstätte für Fehler, die wir aus tiefen Kränkungen heraus machen.
„Kränkungen sind harte Brocken und vielleicht die größten Verursacher von Fehlern überhaupt. Sie verletzen unser Innerstes, unseren Selbstwert, sie machen unsere Seele traurig.“

Und die starken Gefühle, die wir dann empfinden, verleiten uns zu Fehlern?
„Große Gefühle verleiten zu genauso großen Fehlern. Fehler, die wir begehen, wenn wir diese starken Gefühle zulassen, sind aber sehr gute Lehrer. Sie zeigen uns den steinigen Weg zu den eigenen Wunden – und das ist gleichzeitig der Weg, der hilft, sie zu heilen.“

Wir profitieren also von Kränkungen?
„Natürlich. Kränkungen zeigen uns, wo wir sensible Stellen haben. Und je näher sie am wahren Kern liegen, desto schlimmer. Es ist unangenehm, zuzugeben, dass man gekränkt ist, denn in diesem Moment zeigt man dem Gegenüber genau diese sensible Stelle, und das macht einen verletzlich. Aber hier ist der Supertrick: In dem Moment, in dem man diese Verletzlichkeit zeigt, fühlt man sich stärker. Und wenn es gut läuft und das Gegenüber kein Vollidiot ist, sondern diese Stelle sieht und mitfühlend reagiert, dann passiert diese magische Verbundenheit, die wir so brauchen.“

Mit wem hast du diese Verbundenheit kürzlich mal gespürt?
„Mit meinem Nachbarn Christian. Eine schöne Brasilianerin hat ihm das Herz gebrochen. Sie hat seinen Heiratsantrag abgelehnt, den er – sichtbar für die ganze Hausgemeinschaft – im Hof in den Schnee geschrieben hat, und Christian auch gleich verlassen. Eine Schmach! Ein paar Tage später hat Christian im Stiegenhaus seine ganze Enttäuschung und Ratlosigkeit einfach vor mir dargelegt, und wir haben sie gemeinsam betrachtet. Er hat es zugelassen und so den einzigen Weg freigemacht, den eine Kränkung gehen kann, ohne wiederzukommen: Das Gefühl wird durchlebt statt überdeckt. Das ist mit die mutigste Sache, die man mit so einer Kränkung anstellen kann, finde ich.“

Und was sind die weniger mutigen Sachen, die man mit so einer Kränkung anstellen kann?
„Die klassischen Reaktionen sind Rückzug, Gegenangriff oder Verharmlosung. Auch diese Reaktionen führen zu Fehlern. Nur, dass die uns nicht weiterhelfen. Und was die einen irgendwann wegstecken – mit einem Knacks im Herzen –, brüten andere jahrelang aus. Das sind oft Dinge, die nüchtern betrachtet kein großes Drama und kein Trauma sind. Sie köcheln aber so lange vor sich hin, bis sie sich am Ende mit zerstörerischer Kraft entladen.“

Den Finger in die eigene Wunde legen, ist ein mutiger Schritt. Man muss es als Gegenüber aber aushalten können, wenn sich ein verletzter Mensch öffnet. Der Nährboden für weitere Fehler?
„Ja, vor allem dann, wenn es um einen geliebten Menschen geht. Für alle, die wissen wollen, wie man sich in so einer Situation am besten verhält, hat der amerikanische Psychologe Carl Rogers das Konzept des ‚aktiven Zuhörers‘ ersonnen. Die Grundprinzipien: kein Herunterspielen, kein Ablenken, kein Witzeln, keine Trostversuche.

Bei der Lektüre deines Buches bin ich auf die Art von Fehler gestoßen, die eigentlich gar kein Fehler ist, von dem man aber selbst denkt, es sei einer. Ein besonders ausgefuchster Zeitgenosse.
„In der Tat. Mit dem bin ich erst kürzlich auf Tuchfühlung gegangen. Die letzten Jahre waren mir einen Tick zu anstrengend, zu aufreibend, zu unberechenbar. Sie haben mich nicht umgehauen, waren aber oft schwer auszuhalten. Jedenfalls: In einer Therapiestunde war das Thema, und dort habe ich den Kalenderspruch ‚Aufstehen, Krone richten und weitergehen‘ nachgeäfft. Die freundliche Antwort meiner Therapeutin war: ‚Aber du musst doch gar nicht aufstehen. Manchmal geht es uns einfach schlecht. Das ist nicht gut oder schlecht. Das ist, wie es ist.‘“

Große Gefühle verleiten uns zu genauso großen Fehlern.

Alexandra Reinwarth, Autorin

Aber ist dieser Rat alltagstauglich? Ich meine, die meisten von uns sind berufstätig, viele haben Kinder – wie könnten sie nicht aufstehen?
„Es geht nicht darum, sich gehen zu lassen oder seine Lieben zu vernachlässigen, sondern darum, zu realisieren, dass es mir gar nicht gutgehen muss. Es darf mir schlechtgehen. Die Kraft, die es kostet, dieses ewige ‚Es muss ja‘, ‚Andere sind übler dran‘, ‚Das hier hat sicher auch was Positives‘ aufrechtzuerhalten, ist dann nicht mehr nötig. Das befreit ungemein.“

Und, wie geht es dir jetzt?
„Gut. Weil ich weiterhin Dinge getan habe, die mir guttun: Sport, kochen, Gartenarbeit, Freundinnen treffen, mit meinem Sohn spielen. Aber ich habe sie nicht getan, damit es mir endlich bessergeht – sondern, um mich und mein Schlechtgehen zu pflegen. Es ist mir also gelassen schlechtgegangen, und irgendwann wurde es besser.“

Was bringen uns eigentlich Fehler, die andere machen – außer Ärger?
„Manchmal tatsächlich Verständnis. Ein Beispiel: Ich habe eine Freundin, die immer zu spät kommt. Immer. Mich hat das wahnsinnig gemacht, und ich hab ihr alles Mögliche unterstellt, warum sie zu spät kommt: Respektlosigkeit mir gegenüber vor allem. Aber seitdem ich einmal bei ihr zu Hause war, während sie versucht hat, pünktlich zu einem Termin zu kommen, unterstelle ich ihr das nicht mehr. Ich habe gemerkt, dass ihr Zeitgefühl einfach haltmacht, sobald sie irgendetwas tut. Seitdem werde ich nicht mehr so sauer. Und sie sagt jedes Mal, wenn sie zu spät angehetzt kommt: ‚Es tut mir leid. Ich hab dich lieb. Ich hab es wirklich versucht!‘ Das hilft auch.“

Widmen wir uns zum Abschluss noch der Spezies Mensch, die überzeugt ist, keine Fehler zu machen oder zu haben. Wie begegnet man ihr?
„Da gibt es erst mal die offensiven Charaktere, wie etwa meinen Freund Dirk. Stichwort: ‚Na ja, mein größter Fehler ist es, dass ich zu viel Geld für richtig guten Wein ausgebe.‘ Sich hier das böse A-Wort zu verkneifen ist ein Kraftakt. Aber es kommt darauf an, ob man geneigt ist, so einen Dirk zu behalten oder nicht – denn natürlich gibt es Fehler, die man einfach nicht aushält. Dann muss man Konsequenzen ziehen. Ist dies aber nicht der Fall und Dirk ansonsten ein feiner Kerl, denke ich an ein Zitat des verstorbenen deutschen Juristen und Politikers Heiner Geißler: ‚Wer seinen Hund liebt, muss nicht auch dessen Flöhe lieben.‘“

Und was ist mit denen, die ihre vermeintliche Vollkommenheit subtiler ausleben?
„Dazu zählt mein Exmann, ein reizender und intelligenter Kerl, der auf wundersame Art und Weise nie schuld an irgendeiner Unbill ist. Das zieht sich durch seinen Job und sein Privatleben: Es liegt am System. Es liegt an den anderen. Am Wetter. Aber es liegt niemals an ihm. Ich habe Jahre gebraucht, bis ich das Prinzip dahinter verstanden habe: Der einfachste und logischste Gedanke, der sich mir aufdrängt, wenn ich einen Fehler gemacht habe – ‚Ich hab’s vermasselt‘ –, der kommt ihm schlicht nicht in den Sinn. Unsere Gehirne haben diesbezüglich völlig unterschiedliche Herangehensweisen.“

Aber so ein Verhalten bringt einen doch trotzdem zur Weißglut …
„Ach, ich bin auch nicht perfekt, und das Wissen darum verändert die Haltung den unperfekten Lieben gegenüber. In diesem Fall halte ich mich an Christian Morgenstern: ‚Wie sollte man wohl leben, wenn man nicht fortwährend bei sich wie bei den anderen hunderterlei Krumm gerade sein ließe?‘“

Alexandra Reinwarths neuer Selbstversuch auf 224 Seiten, „Auf meine Schwächen ist wenigstens Verlass. Wie du entspannst, wenn du deine Fehler liebst“.