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Beginnen wir mit dem Wichtigsten: Hast du vorige Nacht gut geschlafen?
Floris Wouterson: „Ja, sehr – vielen Dank für die Nachfrage.“

War das bei dir immer so? Hattest du nie Schlafprobleme?
„Ich hatte eine Phase, da ging es wirklich gar nicht. Das war auch der Anstoß für mein Buch – weil wir ja erst dann mit einer Sache ein Problem haben, wenn sie eben nicht mehr klappt. Wir alle sehen Schlaf als selbstverständlich an, aber das ist er gar nicht! Doch erst in dem Moment, in dem man nicht mehr gut schläft, fängt man auch an, darüber nachzudenken.“

Und deshalb hast du angefangen zu recherchieren …
„Genau. Dann wird man aus Not ein Experte – aber das ist ja auch gut so, weil man ein anderes Verständnis dafür entwickelt, wenn man es selbst erlebt hat.“

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Floris Wouterson, Schlaf-Experte

Schlafexperte Floris Wouterson

Was war denn das Überraschendste, auf das du bei deiner Suche nach Lösungen gestoßen bist?
„Dass guter Schlaf eine Sache der Einstellung ist. Mehr als alles andere ist es unsere Denkweise, unsere Sicht auf die Welt, die bestimmt, wie gut wir schlafen. Ich habe damals gerade Karriere in der Finanzbranche gemacht, als meine Schlafprobleme begannen. Ich dachte, das wäre genau das, was ich will. Aber mein Körper hat wohl früher gemerkt, dass das nicht stimmt. Schlaf ist ja oft wie das Alarmlämpchen am Armaturenbrett: Schlechter Schlaf ist ein Hinweis, ein Symptom. Er ist selten die Hauptursache unseres Problems.

80 Prozent der Berufstätigen schlafen schlecht. Das ist unheimlich viel.
„Sehr viel! Und es weist auch fast immer auf etwas anderes hin. Das Allerwichtigste ist, dass man das Problem dafür nützt, um einige Dinge in seinem Leben zu hinterfragen. Mache ich zum Beispiel meine Arbeit noch mit Leidenschaft? Erfüllt sie mich wirklich?“

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Aber wenn das so ist – wie sinnvoll ist es dann, am Schlaf anzusetzen? Behandle ich damit nicht erst recht wieder nur das Symptom und nicht die eigent liche Ursache?
„Gute Frage. Vielleicht sollte man schon dazusagen, dass etwa 20 Prozent aller Schlafprobleme eine medizinische Ursache haben. 80 Prozent sind von uns selbst konditioniert. Medizinisches muss natürlich abgeklärt werden. Was die Selbstkonditionierung anbelangt, so kann sie sich im Kopf abspielen, aber es kann darin auch allerhand Lebensstil stecken wie zum Beispiel Ernährungsgewohnheiten: Alkohol, zu viel Kaffee, zu viel Zucker… Natürlich kann ich meinen Schlaf verbessern, wenn ich erst einmal an diesen Schrauben drehe! Und Schlaf zu optimieren ist wirklich wichtig, denn die meisten von uns sind mit ihrem Lebensstil sehr weit abgedriftet von allem, was schlaf- oder gesundheitsförderlich wäre. In dieser Hinsicht sind wir alle ein bisschen verloren.“

Kann es sein, dass Ursache und Folge nicht immer so eindeutig sind? Sprich: Schläfst du schlecht, weil du keine Lust mehr auf deinen Job hast – oder aber verspürst du gerade keine Freude mehr im Job, weil du so schlecht schläfst?
Beides geht. Viele Leute, die ein Burnout haben, schlafen schlecht – und dann lässt sich natürlich auch immer die Frage stellen: Ist es das Burnout, das für schlechten Schlaf sorgt, oder umgekehrt? Generell gibt es eine starke Verbindung zwischen den beiden, und es ist tatsächlich ein schmaler Grat, zu sagen, wo das eine anfängt und das andere aufhört. Dazu kommt: Leute, die schlecht schlafen, treffen keine guten Entscheidungen. Das kann beruflich natürlich ein Teufelskreis sein: Man schläft schlecht, weil man nicht mehr glücklich im Job ist und sich beruflich verändern will. Aber gerade für solche Entscheidungen sollte man ausgeschlafen sein. Hier würde ich auf jeden Fall zuerst einmal beim Schlaf ansetzen, bevor man sich neu orientiert und einen neuen Job sucht. Ich glaube, die Grundregel sollte lauten: Triff keine Entscheidungen über dein Leben, solange du nicht gut schläfst.“

Triff keine Entscheidungen über dein Leben, solange du nicht gut schläfst.

Floris Wouterson, Schlaf-Experte

Du schreibst auch, viele Leute glauben, sie hätten Schlafprobleme, dabei haben sie in Wirklichkeit gar keine.
Ja, viele Leute denken, sie hätten nicht gut geschlafen – obwohl das objektiv messbar nicht zutrifft. Das lässt sich bei Untersuchungen im Schlaflabor gut nachweisen. Doch auch hier haben wir wieder das Problem von der Katze, die sich in den Schwanz beißt: Leute, die wenig schlafen, schätzen ihre eigene Situation falsch ein – nämlich oft noch negativer, als sie ist. Es gibt eine interessante Untersuchung zum posttraumatischen Stress-Syndrom: Dabei wurden Soldaten gebeten, ihren Schlaf einzuschätzen, und die meisten meinten, sie hätten nur vier Stunden geschlafen und eine Stunde gebraucht, um einzuschlafen. Tatsächlich hatten sie aber sieben Stunden geschlafen und im Schnitt nur siebzehn Minuten gebraucht, um einzuschlafen.“

Also dient das Schlaflabor als eine Art „Reality Check“?
„Ja. Das ist oft sehr erhellend, wenn man merkt: Das eigene Gefühl stimmt mit der Realität nicht überein. Gleichzeitig ist es für eine Diagnose aber gar nicht so entscheidend, wie viel man schläft, denn Schlafprobleme diagnostiziert immer der Patient, nicht der Arzt. Wer über drei Monate lang seine eigene Schlafqualität als schlecht beurteilt und auch spürt, dass sein mangelhafter Schlaf Auswirkungen auf seine wachen Stunden hat, erfüllt die Diagnose ‚Schlafproblem‘.“

Die meisten von uns sind mit ihrem Lebensstil sehr weit abgedriftet von allem, was schlaf- oder gesundheitsförderlich wäre.

Floris Wouterson, Schlaf-Experte

Also, ich liege zwar oft in der Nacht wach, denke mir aber immer, das ist kein Problem, denn wenn mein Körper akut Schlaf bräuchte, würde er ihn sich holen. Stimmt das?
„Jein. Es gibt auf Englisch eine sehr schöne Redewendung: ‚The night mirrors the day‘. Sprich: Was man nachts erlebt, ist oft eine Spiegelung dessen, was man tagsüber gemacht hat. Unsere Tage sind nun einmal randvoll mit Telefonaten, Computerbildschirmen, Stress, Deadlines, unglaublich vielen Anforderungen, die wir erfüllen müssen. Und wenn man da seinen Tag nicht gut strukturiert, ist die Chance, dass man nachts wach liegt, natürlich viel größer.”

Ganz konkret: Wie viel soll ich denn nun schlafen? Stimmt die 8-Stunden-Regel, von der man immer hört?
„Das hängt vom Alter ab. Aber ja, bei erwachsenen Personen geht man von sieben bis neun Stunden aus. Das muss jedoch nicht in einem Stück sein. Manche Leute liegen wach und schlafen später wieder ein. Es wird nur so dogmatisiert in der Presse dargestellt, dass man mindestens acht Stunden durchschlafen sollte. Davon halte ich nichts. Diese Anforderung macht ja bloß zusätzlich Stress.”

Schlafprobleme diagnostiziert immer der Patient, nicht der Arzt.

Floris Wouterson, Schlaf-Experte

Und stimmt es, dass es weniger um die Stunden als um die Schlafzyklen geht?
„Es geht um die Schlafqualität. Das ist ungefähr so, wie wenn du dein Gewicht auf der Waage siehst: 89 Kilo – das sagt noch gar nichts aus! Denn wie viel davon ist Muskelmasse, wie viel ist Körperfett? Diese Kilos können bei unterschiedlichen Menschen eine ganz unterschiedliche Zusammensetzung haben. Und erst dann, wenn ich die Zusammensetzung kenne, kann ich beurteilen, ob 89 eine gute oder eine schlechte Zahl für mein Gewicht ist. Beim Schlaf ist es genauso: Wir fokussieren viel zu viel auf die Zeit, die wir im Bett verbringen, als auf die Qualität. Und die Qualität kann man heraus destillieren, indem man schaut, wie viel Tiefschlaf man hat, wie viel leichten Schlaf, wie viel REM-Schlaf … Diese Zusammensetzung, abhängig vom Alter, bestimmt, wie gut jemand geschlafen hat. Und natürlich die Frage, wie man morgens wach wird. Ist man frisch und energiegeladen – oder ist man schlapp wie eine Gurke, die zu lang im Kühlschrank gelegen hat? Manchmal fühlt man sich großartig mit nur sechs Stunden Schlaf. Andere Leute schlafen acht Stunden und fühlen sich immer noch schlecht.”

Schlaf ist eben doch sehr individuell …
„… und wir haben durch die Art und Weise, wie wir als Gesellschaft zusammenleben, verlernt, auf uns selbst zu hören. Wir machen immer weiter, wir haben nie einen Aus-Knopf, den wir benutzen. Wir kleben am Handy und sollen möglichst 24 Stunden erreichbar sein. Wenn Freud jetzt noch leben würde, dann würde er uns alle für verrückt erklären. Das fängt ja schon damit an, dass die Schule am Morgen viel zu früh beginnt.“

Ja, das liest man tatsächlich oft, dass ein 9-Uhr-Beginn gesünder wäre.
„Man weiß doch, wie wichtig das für die Kinder und die Entwicklung des Gehirns wäre! Die Kinder könnten sich viel besser konzentrieren, bessere Leistungen erbringen etc. In England hat sich sogar in Studien gezeigt, dass die Zahl der Verkehrsunfälle rund um Schulen zurückgeht, wenn man den Schulbeginn nach hinten verlegt. Es hätte eigentlich nur Vorteile, aber wir machen es nicht … Es gibt viel Wissen zu diesem Thema, aber oft wird es gar nicht umgesetzt. Bei Top-Sportklubs wie Manchester City oder Bayern München wird im Training sehr wohl auf die Chronotypen geachtet: Ist mein Spieler morgens oder abends leistungsfähiger? Für viele Fußballer ist es gar nicht gut, dass die Champions League am Abend ausgetragen wird. Die würden tagsüber besser kicken.“

Das Sicherheitsgefühl ist wichtig. Man ist sehr verletzlich, wenn man schläft.

Floris Wouterson, Schlaf-Experte

Wenn ich meine Schlafqualität erhöhen will: Wie sollte eigentlich meine ideale Schlafumgebung aussehen?
„Kennst du dieses Gemälde von van Gogh, auf dem sein Schlafzimmer dargestellt ist? Da ist nur ein Bett, ein Nachttisch und ein Lämpchen. Also: wenige Gegenstände, wenig Licht. Das ist optimal. In modernen Häusern ist zu viel Licht, noch dazu LED-Beleuchtung, die ein zu blaues und zu wenig rotes und gelbes Farbspektrum ausweist. Morgens ist das gut, aber abends behindert es den Schlaf. Deshalb tut es gut, das Licht schon zu dimmen, bevor man zu Bett geht. Allerdings gehen wir dann meist ins Bad, und dort machen wir es erst recht wieder an!”

Also Punkt 1: auf Dunkelheit achten.
Generell ja. Manche Leute brauchen ein kleines Licht, damit sie sich sicher fühlen, das ist in Ordnung. Man ist sehr verletzlich, wenn man schläft. Sicherheitsgefühl ist wichtig. Und es soll sauber sein, nicht zu viele Milben oder Staub für die Atemwege. Die ideale Temperatur im Schlafzimmer liegt bei 16 bis 18 Grad. Das wird oft unterschätzt. Wenn die Temperatur perfekt ist, schläft man sofort viel ruhiger und besser.”

Und das Bett?
Ist sehr wichtig! Es ist entscheidend, ein gutes Bett, ein gutes Kissen, eine gute Decke zu wählen. Nicht an der falschen Stelle sparen! Das Bett ist ein Ort, an dem wir sieben bis acht Stunden täglich verbringen. Keinen einzigen Gegenstand, abgesehen von Schuhen, benutzen wir derart viel.”

Wie wählst du deine Matratze aus?
„Sie muss atmungsaktiv und druckentlastend sein, wie zum Beispiel Latex-, viscoelastische oder Interactive-Taschenfederkern-Matratzen. Denn jede Druckstelle auf der Haut sendet dem Kleinhirn das Signal: ‚Drehen!‘ Je weniger druckentlastend die Matratze ist, desto mehr dreht man sich im Bett – und damit fragmentiert man wiederum den Tiefschlaf. Aber auch da gilt: Es gibt nicht ‚die beste Matratze‘, es gibt nur die beste Matratze für einen selbst. Das heißt, man muss sich vor Ort gut beraten lassen. Auch die Schlafposition entscheidet: Bauchschläfer brauchen andere Matratzen als Rücken- oder Seitenschläfer. Wobei prinzipiell vom Schlafen auf dem Bauch erst mal abzuraten ist. Ich weiß, viele finden, 3.000 Euro sei zu viel für eine Zwei-Personen-Matratze. Aber auf zehn Jahre gerechnet ist es eine Ausgabe von 25 Euro im Monat. Was die meisten für Handy-App-Abos ausgeben, ist oft mehr. Dabei liegt man nicht sieben Stunden auf dem Handy drauf, und man tauscht das Gerät schneller wieder aus. Kurz: Ich verstehe diese schräge Sichtweise bei Matratzen nicht, denn es gibt wirklich große Qualitätsunterschiede. Als das olympische Team der Niederlande 2016 zu den Sommerspielen in Rio fuhr, haben sie ihre eigenen Matratzen mitgebracht. Die würden das nicht machen, wenn es egal wäre.”

Du hast vorhin erwähnt, man soll nicht auf dem Bauch schlafen. Warum eigentlich nicht?
Weil es der Wirbelsäule nicht guttut. Für die ist die Seitenlage am besten, sie soll sich in der Nacht erholen können und nicht auch noch arbeiten müssen. Ideal wäre, auf der linken Seite zu schlafen, weil da das Herz weniger pumpen muss und das lymphatische System am besten funktioniert. Dazu gibt es Studien der Stony Brook University in New York – aber man muss es nicht übertreiben: Seitenschlaf ist prinzipiell gut.”

Es gibt nicht ‚die beste Matratze‘, es gibt nur die beste Matratze für einen selbst.

Floris Wouterson, Schlaf-Experte

Lass uns auch noch über Hormone reden: Welchen Einfluss haben sie auf den Schlaf?

„Schlafen ist prinzipiell ein neurophysiologischer Prozess, der sich im Hirn abspielt, ein hormonelles Zusammenspiel. Die wichtigsten Player in diesem Prozess sind Cortisol und Melatonin. Cortisol ist bekannt als unser Flucht-oder-Kampf-Hormon. Wir brauchen es, um morgens aufzuwachen und den Tag zu beginnen. Melatonin wiederum ist der Gegenspieler. Es sorgt dafür, dass wir gut ein- und durchschlafen können. Wenn man sich tagsüber schlecht ernährt und dauernd Stress hat, dann ist der Cortisolspiegel im Blut viel zu hoch. Und hat man am Ende des Tages einen zu hohen Cortisolspiegel, kann das Melatonin viel schwerer seine Arbeit erledigen. In diesem Fall sind Schlafprobleme quasi programmiert.”

Wie sollte ich denn prinzipiell essen, wenn ich gut schlafen möchte?
Weniger Zucker, weniger Fertiggerichte, weniger schnelle Kohlenhydrate. Alle drei Faktoren stehen einem guten Schlaf im Wege. Was wir hingegen benötigen würden: mehr Tryptophan! Tryptophan ist eine ganz wichtige Aminosäure – eine der fünf essenziellen. Und im Körper wird es umgesetzt in Serotonin, das sogenannte Glückshormon. Aus Serotonin wird wiederum Melatonin erzeugt. Da schließt sich der Kreis zum Schlaf. Wenn man generell zu wenig hochwertige Eiweiße isst, hat man einen zu niedrigen Tryptophanspiegel. Damit funktioniert diese Synthese weniger gut – und das merke ich an meinem Schlaf.”

Wenn ich nur eine einzige Sache an meinem Lebensstil ändere – welche wäre die wichtigste für guten Schlaf?
„Es gibt viele, aber die allerwichtigste ist Regelmäßigkeit. Unser Biorhythmus ist sehr sensibel. Ich muss einen festen Zeitpunkt schaffen, an dem ich in der Früh aufstehe. Das wird von meiner Lebenssituation und meinen Verpflichtungen abhängig sein. Dann rechne ich zurück, wie viele Stunden Schlaf ich brauche und wann ich daher ins Bett muss. Und diese feste Zeit – das Schlaffenster, wie ich das nenne – sollte man auch am Wochenende einhalten. Dann wird man sich relativ schnell deutlich besser fühlen. Viele Leute finden das langweilig, denken, das ist Unsinn, das bringt mir nichts. Aber ich kann versprechen, dass das einen sehr großen Einfluss darauf hat, wie man sich fühlt.”

Und keine Schlummerfunktion am Handy oder Wecker einschalten?
Bloß nicht! Schlummerfunktion-Drücken ist genau eine dieser Angewohnheiten, die den Biorhythmus beleidigen. Damit fragmentiert man auch noch das letzte Stück des Schlafes.”

Floris Wouterson ist Hollands Schlaf-Experte Nummer 1. Seit über 17 Jahren beschäftigt er sich mit der natürlichsten Sache der Welt. Die deutsche Fassung seines Buches „Super schlafen“ ist 2022 im Südwest Verlag erschienen.