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Wonach riecht Ihr Sommer?
Johannes Frasnelli: „Es gibt zwei ver­schiedene Gerüche, die ich stark mit viel Sonne und dem Sommer verbinde. Das eine ist der Ge­ruch von Schwimmbad, also Chlor, Son­nencreme und vielleicht noch Pommes frites. Das andere ist der Geruch von tro­ckenem Nadelwald, den ich aus meiner Kindheit in Südtirol kenne – Stichwort ‚Sommerfrische‘. Und natürlich frisch geschnittenes Gras. Wenn ich das rieche, löst es in mir sofort Sommergefühle aus.“

Riecht der Sommer stärker als andere Jahreszeiten?
„Ja, weil es wärmer ist. Deswegen gibt es mehr flüchtige Substanzen in der Luft. Um einen Duftstoff wahrzuneh­men, muss dieser erst einmal in der Luft sein – das bedeutet: Er muss sich aus der Duftquelle lösen und von der Luft aufgenommen werden. Dieser Vorgang funktioniert bei höheren Temperaturen besser. Jeder kennt das von zu Hause: Lebensmittel riechen im Kühlschrank lange nicht so intensiv wie bei Zimmer­temperatur.“

Es gibt aber auch mehr Geruchsvielfalt im Sommer, oder?
„Natürlich. Die Geruchswelt im Sommer ist bunter, vielfältiger. Das geht los mit den Kirschen und Johannisbeeren, und der Bogen spannt sich bis zu den Äpfeln am Sommerende. Und: Wir kommen weit mehr mit dieser Geruchswelt in Kontakt! Das liegt daran, dass wir viel mehr drau­ßen sind als in der kalten Jahreszeit, wo wir oft nur mit den Gerüchen der eigenen vier Wände konfrontiert sind.“

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Sie haben einmal gesagt, der Geruchs­sinn sei wie eine Zeitreise. Wieso?
„Weil unser Geruchssinn stark verbunden ist mit Gedächtnis und mit Emotionen. Riechinformationen werden im soge­nannten limbischen System unseres Ge­hirns verarbeitet – und dieses System ist eben nicht nur für das Riechen zuständig, sondern auch für Gefühle, für die Erin­nerung und fürs Lernen. Wenn ich dann einen Duft wahrnehme, der mich zum Beispiel an eine Person erinnert, dann kann ich diese Person regelrecht vor mir sehen: ihre Kleidung, ihre Bewegungen, ihren Lippenstift ...“

Beim Sehen oder Hören ist das anders?
„Informationen vom Sehen und vom Hö­ren werden im Zentrum des Gehirns ver­arbeitet, die sind relativ weit vom limbi­schen System entfernt. Ein Geruchsreiz ist viel emotionaler besetzt.“

Außerdem dient unser Geruchssinn ja auch der Warnung ...
„Richtig. Ganz klassisch ist da der Brand­geruch. Oder dass ich erkennen kann, ob ein Lebensmittel genießbar oder ver­dorben ist – Stichwort: saure Milch. Das sind wichtige Informationen, die ich durch die Nase aufnehme. Und dabei rie­chen wir nicht einmal nur mit der Nase, sondern auch mit dem Inneren unseres Mundes.“

Wie bitte?
„Wenn ich an einem Glas Wein oder einer Blume rieche – also: wenn ich die Um­gebung mit der Nase analysiere –, dann spricht man vom „orthonasalen Riechen“. Mindestens genauso wichtig ist aber das ‚retronasale Riechen‘ – und das findet im Mundraum statt. Wenn wir etwas mit dem Gaumen erfassen, denken wir meist, es ‚schmeckt gut‘ – oder auch nicht. Tatsächlich ist die Hauptkomponente dieser Wahrnehmung aber der Ge­ruchssinn; weil die Duftstoffmoleküle von hinten über den Rachen in die Nase aufsteigen und dort wahrgenommen werden. Deshalb denkt man auch, man ‚schmeckt‘ weniger, wenn man einen Schnupfen hat – aber das Schmecken ist eigentlich unbeeinträchtigt, es ist tat­sächlich dieses Riechen beeinträchtigt, weil die Duftstoffe nicht mehr in die Nase aufsteigen können.“

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Also ohne Geruchssinn kein Erdbeer­geschmack?
„Ja, der Geruch ist der maßgebliche Fak­tor, wenn es um den Genuss von Lebens­mitteln geht, viel wichtiger als das eigentliche Schmecken. Und im Sommer kommen all diese Wahrnehmungen zu­sammen. Wenn wir an den Strand gehen, riechen wir orthonasal das Meer und re­tronasal das Eis, das wir schlecken. Und verbinden es im limbischen System mit der Emotion ‚Ferien‘. Das alles wird dann gemeinsam verarbeitet und abge­speichert.“

Johannes Frasnelli ist Mediziner, Neuro­wissenschaftler und Autor von „Wir riechen besser als wir denken“, dem Wissenschaftsbuch des Jahres 2020.