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Ihre Nachricht war schlechtes Timing. „Sieht so aus, als hättest du endlich Frieden mit Indien als Reiseziel geschlossen“, frohlockte die beängstigend kluge Schwester via WhatsApp. Ich hatte ihr Fotos aus Kalkutta geschickt. Farbenprächtige Bilder vom lokalen Blumenmarkt und der Howrah-Brücke, dazu Schnappschüsse von lustig bemalten Lastwägen, auf denen patriotische Lobhudeleien wie „India is great“ geschrieben standen.

Flower Market in Kalkutta

Bild: Waltraud Hable

Ich gab ein schwaches Röcheln von mir.

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Ich stöhnte, während ich in meinem mit Jalousien abgedunkelten Zimmer auf dem Bett lag, wo die Ventilatoren im Kampf gegen die Hitze surrten. Wobei, stöhnen ist übertrieben. Ich gab ein schwaches Röcheln von mir. Mehr war nicht drin. „Von wegen Frieden: Ich fürchte, die Inder wollen mich umbringen“, tippte ich schwach zurück. Dann ging es wieder los. Und ich kroch schweißgebadet auf allen vieren, Haare und Unterwäsche bedenklich schief sitzend, ins Badezimmer, um mich zu übergeben. Einmal. Zweimal. Dreimal. Viermal. Bis die Misere eine Körperöffnung weiter südlich begann. Shit.

Lebensmittelvergiftung. Die zweite schon seit meinem Reisestart im Mai.

Lebensmittelvergiftung. Die zweite schon seit meinem Reisestart im Mai. Der erste Vorfall ereignete sich in Saigon, Vietnam, wo mich ein vegetarisches Gericht mit Tofu für volle fünf Tage ausschaltete. Nun also Kalkutta. Dabei hatte ich beim Essen aufgepasst wie ein Schießhund, gerade weil es Indien war. Garküchen, Straßenhändler – all ihre Köstlichkeiten hatte ich gemieden und mir stattdessen „richtige“ Restaurants mit richtig guten Bewertungen rausgesucht. Für das Lokal, das mich außer Gefecht setzen sollte, hatte ich sogar extra die U-Bahn genommen. Es lag in bester Nachbarschaft neben einem Luxushotel, indische Geschäftsmänner in feinem Zwirn dinierten dort …

Kalkutta Straßenbild

Bild: Waltraud Hable

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Lebensmittelvergiftung, das geht an die Substanz. Da werde ich weinerlich. Da fühle ich mich plötzlich einsam und mutterseelenallein.

Dehydriert und von säuerlichem Odeur umweht, krümmte ich mich am Fliesenboden und haderte mit der Welt. „Ich kann nicht mehr“, wimmerte ich. „Warum zum Teufel tue ich mir das weiter an?“

Ich halte vieles aus. Schlangen, die von der Zimmerdecke fallen. Präpotente Tinder-Dates. Übel riechende Sitznachbarn im Flugzeug. Alles auf Reisen schon er- und überlebt. Aber Lebensmittelvergiftung, das geht an die Substanz. Da werde ich weinerlich. Da fühle ich mich plötzlich einsam und mutterseelenallein, will auf der Stelle die Reise abbrechen.

Alltag in Kalkutta

Bild: Waltraud Hable

Fahr in ein Krankenhaus“, instruierte mich die  Schwester. „Oder bitte deinen Vermieter, dich zu fahren.

Für einen Flug von Indien nach Thailand mobilisierte ich meine letzten Kräfte.

Ich antwortete nicht. Allein beim Gedanken daran, mit Ärzten oder meinem Airbnb-Vermieter, einem dickbauchigen, lauten Schnauzbart-Inder, sprechen zu müssen, verließ mich die Kraft. Dabei war Letzterer großartig: freundlich, hilfsbereit, überbesorgt. Er und drei seiner drei Angestellten riefen mich täglich an, um sich nach meinem werten Befinden zu erkundigen, die Herren machten einen Wirbel um mich wie um eine Bollywood-Prinzessin. Aber ich hatte keinen Nerv für indisches Tamtam. Also litt ich weiter. Blieb im Zombie-Modus und quälte mich, weiß wie eine Wand und durchfallgeplagt, sogar durch einen Flug von Indien nach Thailand, der war lange gebucht, die Aussicht, länger krank in Indien dahinvegetieren zu müssen, mobilisierte die letzten Kräfte.

Ich hätte das Ganze auch leichter haben können.

Mittlerweile bin ich wieder halbwegs fit, mit frisch gepressten Gemüsesäften vollgepumpt und muss gestehen: Ich hätte das Ganze auch leichter haben können. Für den Körper. Und für den Geist. Wie? Indem ich zugebe: Ich bin am Ende. Ich habe keine Kraftreserven mehr. Ich brauche Hilfe. Punkt.

Verfall und Leben

Bild: Waltraud Hable

Ich bin als Alleinreisende und als Single so daran gewöhnt, Dinge ohne fremde Hilfe zu regeln, dass mir alleine beim Gedanken daran, nach Unterstützung zu fragen, fast die Zunge abfault. Ich bin die Starke. Ich fungiere als Problemlöserin, nicht als diejenige, die Probleme hat oder macht. So zu denken ist dumm, ich weiß. Ich weiß aber auch, dass es nicht nur mir so geht.

Hilfe anzunehmen wird mir weiter schwerfallen, ich bin diesbezüglich eine schwer belehrbare harte Nuss.

So, und jetzt? Nur weil man etwas versteht, heißt das noch lange nicht, dass man es auch lebt. Hilfe anzunehmen wird mir weiter schwerfallen, ich bin diesbezüglich eine  schwer belehrbare harte Nuss. 41 Jahre Konditionierung auf „Ich muss Superwoman sein“ gehen nicht spurlos an einem vorbei.

Ich würde das Universum lediglich bitten, beim nächsten Mal vielleicht etwas Kleineres als Lektion um die Ecke zu schicken.

Aber ich bin gewillt, der Sache mit dem Schwächezeigen zumindest eine Chance zu geben. (Dieser Blog ist ein Anfang, auch wenn ich wahrscheinlich in ein paar Tagen der carpe diem-Redaktion schreibe: „Geh, löschts das bitte, ich war weinerlich und pathetisch, diesen Schmus will keiner lesen, schon gar nicht ich.“) Ich würde das Universum lediglich bitten, beim nächsten Mal vielleicht etwas Kleineres als Lektion um die Ecke zu schicken. Einen verpassten Bus, eine geplatzte Einkaufstasche, irgendwas, das nicht sofort sämtliche Lebensfunktionen ausschaltet. Das wäre sehr nett. Danke im Voraus! Weiter nach Istanbul in der Türkei