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Ich hatte bei meiner Ankunft in Rio de Janeiro das Thema Ayahuasca kurz auf dem Schirm, als mögliche journalistische Story.

Ayahuasca, der psychoaktive Pflanzensud aus dem Amazonasgebiet – ein brauner, bitterer Auszug aus der Liane Banisteriopsis caapi und den Blättern des Strauchs Psychotria viridis, Letztere enthalten den psychedelischen Wirkstoff Dimethyltryptamin (DMT) – wird von den Urvölkern Brasiliens seit jeher für rituelle Zeremonien verwendet und verspricht tief gehende spirituelle Reisen.

Schamanen sagen, die Pflanzenseelen offenbaren sich unter Ayahuasca-Einfluss als Lehrmeister. Sie schaffen eine Verbindung zu einer neuen, unbekannten Dimension des Geistes, lösen Raum und Zeit auf, weisen den Weg in die Zukunft und zeigen bei Krankheit Heilungswege auf.

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Schamanen sagen, die Pflanzenseelen offenbaren sich unter Ayahuasca-Einfluss als Lehrmeister.

  1. Prinzipiell eine faszinierende Sache.
  2. Aber wenn man in 41 Lebensjahren genau zweimal gekifft hat und einem dabei stets sensationell übel wurde, dann betrachtet man das Ganze mit Skepsis. Vor der Berauschung des Geistes habe ich einen Heidenrespekt.
Regenwald

Bild: Waltraud Hable

Vor der Berauschung des Geistes habe ich einen Heidenrespekt.

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Doch Ayahuasca fand zu mir – auf eine Weise, die man nicht planen kann. James, ein Norweger, der wunderbar küssen kann und in Rio an einem Filmdrehbuch schrieb, eröffnete mir: „Ich werde Samstag an einer Ayahuasca-Zeremonie in der Santo-Daime-Kirche teilnehmen. Von 19 Uhr bis 5 Uhr früh. Kommst du mit?

In Brasilien sind im 20. Jahrhundert Ayahuasca-Religionen entstanden. Eine davon ist die Santo-Daime-Gemeinschaft – man singt, man tanzt, man trinkt Ayahuasca, und das völlig legal. Brasilien hat Ayahuasca für den religiösen Gebrauch freigegeben.

James hatte schon dreimal vorher Ayahuasca ausprobiert und war überzeugt, dass sich durch die halluzinogene Wirkung neue Türen zu seinem Unterbewusstsein öffneten. Mehr noch: Die Erfahrung habe sein gesamtes Denken zum Positiven verändert. Er erzählte mir, dass Dimethyltryptamin das gebräuchlichste Halluzinogen der Natur ist, ein Wirkstoff, den man sonst nur bei Geburt und Tod erlebt. Die Sache begann mich zu reizen.

James erzählte mir, dass Dimethyltryptamin das gebräuchlichste Halluzinogen der Natur ist, ein Wirkstoff, den man sonst nur bei Geburt und Tod erlebt.

Doch eine Sache quälte mich. „Ich will nicht neben dir kotzen müssen, James. Das wäre mir irgendwie unangenehm, man kotzt nicht bei einem Date.“ – „Die meisten kotzen nach der Einnahme von Ayahuasca“, gab James unbeeindruckt zurück. „Das ist eine normale Nebenwirkung. Das Brechen löst innere Widerstände auf, erst dann arbeitet Ayahuasca. Nichts, wofür man sich schämen müsste. Alles menschlich.“

Ich will nicht neben dir kotzen müssen, James.

Von den explosionsartigen Durchfällen, von denen ich in Erfahrungsberichten gelesen hatte, fing ich gar nicht erst an zu erzählen. James ist ein Mensch, der Verständnis für so ziemlich alles hat, neben ihm wirkt man schnell, als hätte man einen Stock im Allerwertesten. Irgendwann gab ich mir einen Ruck. Warum eigentlich nicht? Das Ganze war quasi aufgelegt. Ich musste nichts organisieren, keinen Schamanen um eine Teilnahmebewilligung beknien, zudem kostete der Abend nur eine freiwillige Spende, erwartet wurden 40 Real (umgerechnet ca. 8 Euro). Ich musste lediglich hingehen und offen für Neues bleiben.

James ist ein Mensch, der Verständnis für so ziemlich alles hat, neben ihm wirkt man schnell, als hätte man einen Stock im Allerwertesten.

Als der Taxifahrer uns absetzte, glaubten wir erst, wir hätten uns an der Adresse geirrt. Wir hatten eine Kirche erwartet, doch die Gemeinschaft von Céu do Mar (übersetzt: Meeres-Himmel) trifft in einer Art Holzscheune auf Stelzen zusammen, hoch oben in den tropisch grünen Hügeln von São Conrado, 40 Autominuten von der Copacabana entfernt. Handy-Empfang? Null.

Als der Taxifahrer uns absetzte, glaubten wir erst, wir hätten uns an der Adresse geirrt.

Im Inneren der Scheune fanden wir einen sternförmigen Tisch vor, mit weißem Tischtuch, Kerzen, frischen Schnittblumen in Vasen und rundherum versammelten sich gut 100 weiß gewandete Menschen. Die Männer in weißen Anzügen mit schwarzer Krawatte, die Frauen in Plisseeröcken mit weiß-grüner Bluse und Glitzerkrönchen am Kopf. „Ich will so eine Tiara“, flüsterte ich James zu, als Maria uns begrüßte.

Im Inneren der Scheune versammelten sich gut 100 weiß gewandete Menschen.

Maria ist eine End-Fünfzigerin mit offenem Lächeln und strahlenden Augen. Eine kluge, kultivierte Frau, die uns auf Englisch in die Grundprinzipien der Gemeinschaft einwies. „Es geht um Liebe, Harmonie, Wahrheit und Gerechtigkeit.

Sie erzählte uns von Kirchen-Gründervater Raimundo Irineu Serra, der erstmals 1918 in Peru mit Ayahuasca in Berührung kam. In Trance hatte er eine Marienerscheinung und erhielt den Auftrag, Ayahuasca in Daime umzubenennen. „Dai-me“ ist portugiesisch für „gib mir“. 

Es geht um Liebe, Harmonie, Wahrheit und Gerechtigkeit.

Maria

Serra will auch von höheren Mächten den Auftrag erhalten haben, den psychedelisch wirkenden Pflanzentrunk Menschen in einem strukturiertem Rahmen zu ermöglichen. Strukturiert heißt: Man singt religiöse Lieder, in denen man um Schutz, Beistand sowie Weisheit bittet, und bewegt sich dazu in einem Zwei-Schritte-nach-links-zwei-Schritte-nach-rechts-Tanz um den Tisch. Die Männer stehen auf der einen Seite, die Frauen auf der anderen. Viermal pro Nacht nimmt jeder je ein Schnapsglas Ayahuasca ein. Ausgeschenkt wird dies zu bestimmten Zeiten von Herren, die wie honorige Apotheker aussehen und hinter Durchreiche-Fenstern in der Scheune stehen.

Ausblick in Rio

Bild: Waltraud Hable

Viermal pro Nacht nimmt jeder je ein Schnapsglas Ayahuasca ein.

Wie läuft die Einnahme ab: Liegt man am Boden? Wohin erbricht man?“, fragte ich Maria. „Wir haben einen Raum, wo man sich bei Kreislaufbeschwerden hinlegen kann, aber den brauchen die wenigsten, die meiste Zeit wird gesungen und getanzt“, antwortete Maria geduldig lächelnd. „Eine Zeremonie wird trabalho (Arbeit) genannt, es ist eine fordernde, psychische Arbeit, die viel Achtsamkeit, sowie motorische und geistige Kontrolle erfordert.“ Sollte ich dennoch erbrechen müssen, könnte ich das beim Fenster raus in den Garten tun, wurde mir mitgeteilt. Dann ging es los.

Wie läuft die Einnahme ab Liegt man am Boden? Wohin erbricht man?

Und was soll ich sagen? Es war zehn Stunden Magie pur. Das hoffnungsfrohe Singen, das laut und klar durch die Nacht schallte. Das rhythmische Tanzen. Das Anzünden der Kerzen. Der dunkle Dschungel um uns herum. Das Strahlen der Kirchengemeinde, von der 16-jährigen Schülerin bis zur 80-jährigen Oma. Und dann … das Öffnen der Durchreiche-Fenster und der erste Ayahuasca-Trunk.

Es war zehn Stunden Magie pur.

Es dauert ca. 20 Minuten, bis du die Wirkung spürst“, hatte James mir im Vorfeld mitgegeben. Das Zeug schmeckte bitter, ein bisschen wie Hustensaft, aber nicht so unangenehm, wie ich befürchtet hatte. Nach der Einnahme ging jeder wieder an seinen Platz, um zu singen und zu tanzen. Nervös wartete ich darauf, das mein Hirn sich in andere Sphären verabschiedete und mein Mageninhalt sich durchs Fenster in die Nacht hinaus ergoss. Doch nichts passierte. Ich spürte nichts.

Das Zeug schmeckte bitter, ein bisschen wie Hustensaft.

Zwei Stunden später: Der nächste Trank. Wieder wartete ich angespannt. Doch keine bunten Lichter. Keine Türen in eine neue Dimension. Stattdessen war ich völlig klar im Kopf. Klarer als sonst. Ich konnte plötzlich ein Problem, das mich seit Jahren beschäftigt, konsequent durchdenken, emotional wie rational. Und ich begann zu verstehen, warum oft gesagt wird, Ayahuasca erspare dir zehn Stunden Psychotherapie.

Ich begann zu verstehen, warum oft gesagt wird, Ayahuasca erspare dir zehn Stunden Psychotherapie.

„Spürst du was?“, fragte ich James im Garten. „Und wie ich es spüre!“, grinste er und erzählte mir, was er sah, wenn er die Augen schloss. Ich war neidisch. „Vielleicht bin ich immun gegen das Zeug oder einfach nur zu sehr Kontrollfreak?“, grummelte ich.

Vielleicht bin ich immun gegen das Zeug oder einfach nur zu sehr Kontrollfreak?

Dann: Trank Nummer 3. Und plötzlich Brechreiz. Ich kämpfte dagegen an, würgte und spuckte in eine Pflanze, die sich auf mich zuzubewegen schien, auf sehr freundliche Art. Als ich die Augen schloss, strahlte alles in einem goldenen Licht, in filigranen, geometrischen Mustern. Es war ein angenehmes Licht, eines das mir suggerierte: „Alles ist gut, du hast eine goldene Zukunft vor dir.“ Ich öffnete dennoch die Augen, aus Angst, dass da etwas zu sehen war, was ich nicht sehen wollte.

Und plötzlich Brechreiz.

Die anderen Teilnehmer tanzten munter weiter, ich hätte nie im Leben vermutet, dass sie gerade Ayahuasca getrunken hatten. Manchmal hörte man jemanden erbrechen, aber niemand schien motorisch die Kontrolle zu verlieren, viele hielten die Augen geschlossen. Ich war ein bisschen wackelig auf den Beinen, setzte mich in eine Ecke, sah den anderen zu. Ich mag leicht beeinträchtigt gewesen sein, aber nicht high. Ich winkte James zu, der gerade Trank Nummer 4 einnahm. Ich ließ die letzte Dosis aus.

Die anderen Teilnehmer tanzten munter weiter, ich hätte nie im Leben vermutet, dass sie gerade Ayahuasca getrunken hatten.

Als wir im Morgengrauen zurück an die Copacabana fuhren, begann mir zu dämmern, warum Ayahuasca mich nicht in neue Sphären katapultiert hatte: Mein innerer Widerstand war zu groß gewesen. Ich war nicht zu 100 Prozent bereit gewesen, mich darauf einzulassen. Vielleicht, weil ich Ayahuasca im Vorfeld als eine Art K.-o-Trunk dämonisiert hatte.

Mein innerer Widerstand war zu groß gewesen. Ich war nicht zu 100 Prozent bereit gewesen, mich darauf einzulassen. 

Doch Ayahuasca schien genau das Gegenteil zu sein. Der magische Pflanzensud hatte mir den Raum gegeben, den ich brauchte. Er war mir freundlich gesinnt, wollte mir nichts Böses, arbeitete MIT mir, nicht gegen mich. „Würdest du es wieder machen?“, fragte James. „Ja“, sagte ich instinktiv. „Weil ich jetzt weiß, dass mir nichts passieren kann – auch wenn ich die Kontrolle verliere.

WEITER: Waltraud bekommt Besuch von ihren Eltern, denen sie nichts vormachen kann.