Warum Frauenherzen anders ticken
Die deutsche Kardiologin Catharina Hamm hat mit „Save your Heart“ ein Buch über die Herzgesundheit von Frauen geschrieben. Im Interview erklärt sie, warum Frauen seltener einen Herzinfarkt erleiden, aber häufiger daran sterben und warum der sogenannte „Bikini Approach“ fatale Folgen hat.

Vanessa Lovegrove
Frau Dr. Hamm, warum war es Ihnen so wichtig, den Frauenherzen ein ganzes Buch zu widmen?
Weil ich in meinem Beruf als Kardiologin und Notfallmedizinerin schon vor vielen Jahren die Erfahrung gemacht habe, dass Frauen oft schlecht dran sind, wenn sie mit einem Herzinfarkt in die Klinik kommen und auch häufiger daran sterben als Männer. Ich habe dann zu recherchieren begonnen, um dem auf den Grund zu gehen und eine gewisse Awareness für Herzerkrankungen bei Frauen zu schaffen.
Sie sind bei diesen Recherchen unter anderem draufgekommen, dass Frauen ihrer Herzgesundheit auch selbst nicht den adäquaten Stellenwert beimessen. Sie haben das den „Bikini Approach“ genannt. Was ist darunter zu verstehen?
Damit ist gemeint, dass sich die Erforschung der Frauengesundheit lange nur auf die „Bikini-Zone“ fokussiert hat, weil man dachte, nur hier, im Bereich der reproduktiven Organe, unterscheide sich die Frauen- von der Männergesundheit. Folge davon ist unter anderem, dass Herz-Kreislauferkrankungen bei Frauen die Todesursache Nummer 1 sind und auch Frauen selbst eine fehlende Wahrnehmung für diese Erkrankungen haben, wie sich immer wieder in repräsentativen Umfragen zeigt. Erst 2019 stellte man trotz der vielen Aufklärung fest, dass Herz-Kreislauferkrankungen als Top-Todesursache von 74 Prozent weniger Frauen wahrgenommen wurden als zehn Jahre davor, während sich die Furcht vor Brustkrebs in diesem Zeitraum verdoppelt hat.

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Worauf führen Sie es zurück, dass in diesem Bereich Aufklärung nicht gefruchtet hat?
Zum Beispiel darauf, dass es keine strukturierte Herzvorsorge gibt, die fest verankert ist. Vorsorge gibt es hingegen für alle möglichen Krebserkrankungen, und dadurch rückt das natürlich in den Fokus. Herz-Kreislauferkrankungen werden immer so hingenommen, so nach dem Motto, naja, das ist halt eine Alterserkrankung, da kann man eh nichts dagegen machen. Dabei haben wir mindestens 50 Prozent des eigenen Herzrisikos selbst in der Hand und könnten mit entsprechendem Lifestyle und strukturierter Vorsorge sehr viel bewirken.
Welche Rolle spielt es auch für die korrekte Diagnostik, dass sich ein Herzinfarkt bei Frauen von der Symptomatik her anders ankündigt als bei Männern?
Schon eine große, und das ist sicherlich einer der Hauptgründe dafür, dass Frauen, gerade die jüngeren, bei Herzinfarkt eine höhere Sterblichkeit haben. Weil es einerseits von den Frauen selbst fehlgedeutet und oft auch vom medizinischen Personal nicht richtig eingeordnet wird. Wenn eine Frau Rückenschmerz oder Übelkeit verspürt, denkt sie meist nicht ans Herz, dabei können das bei ihr Symptome für einen bevorstehenden Infarkt sein. Wir Frauen interpretieren Beschwerden ja sehr gerne und beschäftigen uns auch damit, aber damit geht oft viel Zeit verloren. Männer sind da anders. Die stellen fest: Da ist ein Schmerz, und der gehört da nicht hin. Und: Beim Herzinfarkt sind die „männlichen Symptome“ wie das Ziehen im Arm oder der Druckschmerz auf der Brust tief im allgemeinen Bewusstsein verankert, aber die haben Frauen nicht in der Form.

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Warum kommt bei all diesem Wissen die Gendermedizin so holprig in die Gänge? Ist das eventuell auch ein begriffliches Problem?
Tatsächlich gibt es eine Umfrage unter 1000 Leuten in der Schweiz, bei der nur 14 Prozent überhaupt etwas mit dem Begriff Gendermedizin anfangen konnten. Die anderen hatten keine Ahnung, was das überhaupt sein soll. Die korrekte Bezeichnung ist übrigens geschlechtersensible Medizin, der Begriff Gendermedizin wird oft mit kratzbürstigen Emanzen verbunden. Auch deshalb dachte ich mir, man muss dieses Thema jetzt einmal zugänglich und cool machen und sagen: Das ist ja was, das für uns alle gut ist. Denn so wie Frauen bei Herzerkrankungen sind Männer bei Osteoporose oder Depression unterdiagnostiziert. Da ist noch vieles falsch in den Köpfen drin, aber wenn man es dann erklärt, hört man: Interessant! Total super!
Inwiefern „tickt“ ein Frauenherz anders als ein Männerherz?
Anatomisch betrachtet, sind Frauenherzen durchschnittlich etwa zehn Prozent kleiner und schlagen auch etwas schneller, um die nötige Menge Blut transportieren zu können. Aber es sind auch die Erkrankungen am Herzen anders, und auch, was krank macht, unterscheidet sich ein bisschen.

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Spielt da auch die emotionale Balance mit hinein?
Die emotionale und mentale Gesundheit auf jeden Fall – die hat einen enorm großen Einfluss auf die Herzgesundheit. Ich hatte eine junge Frau mit Anfang 40 mit einem klassischen Herzinfarkt mit schweren Ablagerungen an den Gefäßen. Die hatte keine Risikofaktoren, war schlank, sportlich, hat sich gesund ernährt und nicht geraucht, aber durch die Trennung vom Partner samt Sorgerechtsstreit hatte sie drei Jahre lang den Stress ihres Lebens. So eine Situation, aber auch Beziehungen, in denen Gewalt oder unterdrückte Gefühle über einen längeren Zeitraum ein Thema sind, können bei Frauen zu Ablagerungen an den Gefäßen führen.
Nehmen wir abschließend Ihren Buchtitel „Save your Heart“: Wie können Frauenherzen besser geschützt werden?
Wenn’s nach mir ginge, würde ich für alle Frauen nach der Menopause einen Herz- und Gefäßcheck in die Gesundheitsversorgung implementieren. Denn zwischen 50 und 60 ist bei den Frauen ein Wendepunkt, an dem die Herzrisiken ansteigen. Wenn dann die, bei denen es eine Risikokonstellation gibt, alle zwei, drei Jahre beim Kardiologen oder bei der Kardiologin die Risikoparameter abklappern, ein Ultraschall vom Herzen und von der Halsschlagader machen und nach Ablagerungen schauen lassen, könnten wir bei entsprechender Behandlung und Modifizierung der Risiken viele Erkrankungen verzögern oder verhindern.

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