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Ehrlich gesagt bin ich auch noch eifrig dabei, meine Ängste zu überwinden. Aber ich kenne immerhin schon das beste Mittel dagegen, wenn sie aktiv sind: einfach weiteratmen. Immer schön weiter. Dann kann dir nichts passieren. Ich weiß das, weil ich sie in allen Varianten habe. Gerade jetzt zum Beispiel die Angst vor der leeren Seite. Ziemlich blöd, wenn man einen Text beginnen will. Genauso lästig wie meine Angst vor Frühterminen, die mich nicht einschlafen lässt.

Oder die, dass ich aus meiner Komfortzone muss. Die Angst vor Partys oder Events, denn alles über vier Leute stresst mich. Sobald ich Flüge buche, sind meine Nerven am Flattern. Sobald ich auf einen Kaufbutton klicken will, überkommt mich Fehlentscheidungsangst. Ich habe Angst, Menschen anzusprechen, die mir gefallen, und vermutlich auch einen Haufen Ängste im Bett. Komischerweise habe ich keine Angst, das zu erzählen.

Mir ist vor allem eines klar geworden: Es sind einfach nur Empfindungen, die aufploppen und Schrecken verbreiten, Herzklopfen, Anspannung. Das klamme Gefühl, den Dingen nicht gewachsen zu sein. Viel mehr passiert da eigentlich nicht.

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Umsonst gefürchtet

Auch das weiß ich inzwischen: Viele Ängste sind fiktiv. Fast schon idiotisch. Nehmen wir die klassische Zukunftsangst: An der leiden arme Leute und reiche, Pilotinnen und Fußballtrainer. Mich ließ sie schon oft die schlimmsten Szenarien fantasieren – und mit absoluter Gewissheit glauben. Das ist übrigens die grundlegende Mechanik hinter Ängsten: Man glaubt eine ultimativ schlechte Version möglicher Ereignisse so sehr, dass man sie durch und durch spüren kann.

Ereignisse, von deren reeller Entwicklung man in Wahrheit keinen Dunst hat. Man weiß ja nicht einmal, was der nächste Tag bringt. Allein das sollte reichen, einem viele Ängste zu nehmen. Aber es reicht nicht, denn Angstreflexe reagieren auf kleinste Trigger.

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Lässt man sie aber auf Dauer walten, ergibt sich noch ein Folgeproblem: Man verliert tatsächlich die Fähigkeit, gute Entscheidungen zu treffen, solange man sich in die Zukunft zittert. Als würde man üben, mit dem Fahrrad auf die einzige Laterne weit und breit zu knallen. Da heißt es gegensteuern.

Manche Ängste wird man vielleicht nie ganz los, aber es genügt, etwas stärker zu sein – und nicht davon beherrscht. Das ist die rote Linie. Angstgefühle sind mächtig. Sie stammen aus der Zeit, als uns noch Säbelzahntiger zum Frühstück wollten, und wohnen in einem Teil unseres Hinterkopfes. Der mag keine Veränderungen, keine Unsicherheit und keinerlei Art von Gefahr. Auf unmittelbare Bedrohung wird mit Fluchtreflexen geantwortet und jeder Menge Stress.

Ein System, das unser Überleben sicherte. Beim modernen Menschen schießt es allerdings häufig übers Ziel hinaus, denn wir befinden uns nur selten in echter Gefahr. Wir wähnen uns aber darin, selbst wenn es nur darum geht, ungeniert seinen Standpunkt zu vertreten – und dort liegt bereits die Wurzel des Übels: Man fühlt etwas, das gar nicht nötig wäre, gefühlt zu werden.

Das beweist bei mir auch jedes Mal ein Blick zurück: 99 Prozent meiner Befürchtungen hätte ich mir definitiv sparen können.

Überwindung von Ängsten

„Wer nicht gerade in einem Kriegsgebiet lebt“, sagt Terri Cole, Psychotherapeutin aus New York, „kann davon ausgehen, dass die meisten Ängste nur angstvolle Gedanken sind über etwas, das eventuell passieren könnte.“ Sie nennt diese mentalen Ängste auch Mafia Mind. Mit dem Unterschied, dass die hauseigene Mafia nicht dein Geld will, sondern deine Energie und deine Möglichkeiten.

Sie hält dein Leben klein. „Sobald man diese Instanz klar erkennt“, so die Spezialistin, „hat man die Wahl, davon frei zu werden. Angst ist nur ein Gefühl, und Gefühle kann man durch neue ersetzen.“

Erkannt, benannt, verbannt – das ist ungefähr das Programm, wenn es um die Überwindung dieser Ängste geht. Man muss sich ihnen stellen und das Absurde daran durchschauen: Wovor fürchte ich mich da eigentlich? Sich stellen heißt auch: Hier sein, wenn die dunkle Welle kommt. Voll da. Keine weichen Knie kriegen, sondern merken, dass sie einem nichts anhaben kann.

Man kann sie kneten und treten und auf ihren Platz verweisen. Insofern sind Ängste auch gute Sparringpartner. Bei kleinen Attacken helfen bei mir oft schon zwei resolute Worte: „Falsche Tür!“ Man muss kreativ werden und konsequent bleiben.

Und ja, es ist auch ein intimer Prozess. Zwei Uhr morgens vielleicht, allein. Selbst das klingt bereits wie eine Angst, aber es könnte auch zu einer Sternstunde werden. Ängste rauben uns den Spaß und die Leichtigkeit und den Spielraum. Nur wer mutig seinen Impulsen folgt, kann sich verwirklichen. Gewinnen die Ängste oder die Träume? Darum geht es letztlich.

Locker werden

Weißt du übrigens, welche Angst bei Umfragen am häufigsten genannt wird? Public speaking. Nur wenige schaffen es offenbar, unverspannt in der Öffentlichkeit zu reden. Dahinter steckt die Angst, von anderen schlecht beurteilt zu werden – und immer wieder jene, zu versagen. Kennen wir alle. Die Frage ist ja auch vollkommen berechtigt, wenn man auf eine Bühne will oder ein neues Projekt ins Leben ruft, und sei es die eigene kleine Bäckerei: Werd ich’s schaffen oder versemmeln?

  • Der Autor und Motivationssprecher Jonathan Fields rät, sich sehr wohl das Worst-Case-Szenario vorzustellen, aber zur Abwechslung keine Horrorantworten zu finden, sondern realistische: „Normalerweise ist es doch so: Selbst wenn alles schiefläuft – man wird sich davon erholen. Das Schlimmste ist, dass es hart wird, aber das ist machbar. Und plötzlich sieht Versagen wesentlich entspannter aus.“

    Genau solche Sachen inspirieren mich. Inspiration ist einer der Schlüssel, um negative Kopffilme mit einem gesunden Plot zu versehen. Eine neue Denkweise braucht frische DNA, man braucht Input.

  • Auf You-Tube etwa gibt es jede Menge Stoff zum Thema. Die besten Sachen habe ich in einer Reihe entdeckt, die unterTEDx-Talksläuft. Zwanzig-Minuten-Vorträge von angesehenen Therapeuten, Gehirnforschern, Schwertschluckern und anderen Profis der Schreckensminimierung. Ich lese aber auch gern die großen Erfolgsmeldungen und „hänge“ sie mir als Spickzettel ins Bewusstsein.

  • In einem Psychologie-Forum schnappte ich einmal diese Sätze auf: „Ich habe mir systematisch abgewöhnt, auf alles mit Angst zu reagieren. Ich hörte auf, mich um meine Existenz zu sorgen. Ich hörte auf, meinen Chef zu fürchten oder zu glauben, dass ich für andere eine Enttäuschung bin. Und seitdem spüre ich eine unglaubliche Kraft, die jahrelang gebunden war.“ Bingo. Dorthin geht die Reise, das ist das Ziel.

Gute Hausmittel gegen Ängste

Angstbewältigung ist in den allermeisten Fällen ein Weg der kleinen Schritte. Mikroerfolge helfen bei der Veränderung.

  • Eine gute Anregung dafür lautet: Mach jeden Tag etwas, das dich erschreckt. Man kann das auch als Dreißig-Tage-Challenge anlegen. Und wenn wir schon bei Anregungen sind, muss man natürlich auch die klassischen Lifehacks gegen die Angst erwähnen: Einer der besten Tipps ist Bewegung. Also Laufen, Strecken, Dehnen, Trampolinspringen, Taekwondo, Schreien – alles, was Energie bringt und den Kopf befreit.

Latenter Angstdruck lässt sich prächtig ausagieren. Es ist auch eine Form von paradoxer Intervention. Ich lege mir in schwachen Minuten oft eine starke Nummer auf und rocke eine Runde ab. Das kann eine Halbwertszeit in Angstlagen bringen, die an Spontanheilung grenzt. Und dann gibt es noch das große Heilmittel.

  • Das, was fast alle Experten empfehlen: dorthin gehen, wo die Ängste von Grund auf gelöst werden. Durch reines Nichtstun. Man nennt es auch Meditieren.

Coming home

Mit Meditation ist das so eine Sache. Die wenigen Leute, die sich regelmäßig hinsetzen, sagen wir, eine halbe Stunde täglich, schwören darauf. Und alle anderen scrollen lieber 500 Stunden durchs Netz und haben die Zeit angeblich nicht. Dabei ist es die beste Möglichkeit, zentrale Geborgenheit zu erfahren. Damit dreht sich das ganze Spiel.

Geht auch ganz einfach:

  • Augen schließen und loslassen. Eintauchen ins schwerelose Innen. Klar, anfangs kommen die Gedanken, als gäb’s kein Morgen, aber irgendwann werden sie weniger und weniger. Und plötzlich passiert dieser erlösende Atemzug, der tiefe Entspannung bringt. Urvertrauen kickt ein. Die Gewissheit, in den Unwägbarkeiten dieser Welt komplett sicher zu sein.

Man hat ein Recht darauf. Und es fühlt sich auch wesentlich stimmiger an. Denn im Herzen sind wir Abenteurer.

  • Angstzustände können ein unerwünschter Begleiter werden, hier findest du 6 hilfreiche Tipps, die dir dabei helfen können.

Gerhard Kummer lebt als Autor und Journalist mit einer Vielzahl von Ängsten in Wien. Er lässt sich davon aber nicht seine Lebensfreude vermiesen.