In Partnerschaft mit

Ist der Orgasmus ein „Orgas-Muss“? Nur mit dem Partner, der im Optimalfall die einzig wahre Lebensliebe ist? Das Romantik-Programm mit Augen-Kontakt und stundenlangen Streicheleinheiten? Oder doch besser hart, schnell und unanständig? Über guten Sex zu sprechen, ohne zu definieren, das ist gar nicht so einfach – obwohl er in unserer Gesellschaft ja omnipräsent scheint.

Befriedigende Antworten gab uns Cornelia Lindner, ihres Zeichens Sexualpädagogin, Sexualberaterin und Beckenbodentrainerin in Wien.

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Die Frage aller Fragen: Was bitte ist guter Sex? „Sex ist sehr viel mehr als ‚nur‘ Geschlechtsverkehr. Alle Berührungen, die mit Lust und Erregung einhergehen, zählen zu Sex – auch streicheln, küssen, Oralverkehr etc. Mit sich selbst und/oder mit jemand anderem. Deshalb ist es auch schwierig zu definieren, was guter Sex wirklich ist.“

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Heißt guter Sex, viele Orgasmen mit einem oder mehreren Partnern zu haben oder aber auch lange „durchzuhalten?“ „Nein. Von ‚gut‘ spreche ich, wenn eine Person für sich selbst empfindet, dass Sex, egal ob mit sich selbst, einer oder mehreren anderen Personen, sich schön und lustvoll anfühlt. Was sich gut anfühlt, ist von Person zu Person natürlich unterschiedlich und auch von der Tagesverfassung abhängig.“

Unterscheidet sich das Empfinden von Mann und Frau?„Es unterscheidet sich von Mensch zu Mensch, nicht nur zwischen zwei Geschlechtern – wobei es eben auch nicht nur zwei Geschlechter gibt. Es wird immer wieder behauptet, dass Männer mehr Lust haben, aber das stimmt so nicht. Es kommt sehr darauf an, was die jeweilige Person gelernt hat – sowohl kognitives Wissen als auch körperliche Erfahrungen. Außerdem beeinflusst immer auch der Alltag der Person Empfinden und Lust.“

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Wie können wir eine gute, gesunde, lustvolle Sexualität erreichen?„Durch Kommunikation. Sowohl mit sich selbst als auch mit anderen beteiligten Personen. Reflexion des Gelernten. Verständnis dafür, dass Sexualität immer veränderbar ist. Du würdest gerne etwas ändern? Dann gibt es viele Möglichkeiten, die beispielsweise in einer Sexualberatung besprochen werden können. Viele Menschen glauben, dass es hier immer um Erkrankungen gehen muss, das stimmt aber gar nicht. Es geht dabei darum, die eigenen Erfahrungen zu besprechen und mit gezielten Übungen neue Lusterfahrungen zu machen. In der Beratung natürlich mit Kleidung!“

Ist der Orgasmus ein „Orgas-Muss“? „Nein! In unserer Gesellschaft ist es Usus, dass Sex und Geschlechtsverkehr mit einem Orgasmus enden muss. Das stresst. Dabei kann Sex auch ganz ohne Orgasmen sehr lustvoll sein. Ob jemand den Höhepunkt erreicht, sagt auch meist nichts darüber aus, ob die andere beteiligte Person ‚gut im Bett‘ ist oder nicht. Das ist etwas sehr Individuelles. Erst wenn dieser Stress des ‚Kommen-Müssens‘ wegfällt, ist es vielen möglich, überhaupt zu einem Orgasmus zu kommen. Auch das kann gelernt werden – aber eben ohne Druck.“

Welche Rolle spielt guter Sex für die Gesundheit? „Eine sehr große! Sexualität ist eine wichtige Energie im Körper. Außerdem kann Sex Anspannungen im Körper lösen. Nicht umsonst hat eine Krankenkasse in Deutschland bei Einschlafbeschwerden Masturbation vorgeschlagen.“

Muss man immer lieben, um guten Sex zu haben? „Es darf alles sein, was sich für die beteiligten Personen gut anfühlt und passt. An manchen Tagen hat man eben Lust auf einen Quickie, an anderen auf eine lange Kuschelnummer, an anderen Tagen hat man keine Lust auf jegliche Berührung. Vielleicht darf es auch mal ‚nur‘ Kuscheln sein. Es kann auch längere Phasen geben, in denen keine Lust auf Sex mit jemand anderem oder mit sich selbst da ist.“

Heterosexuelles Paar im Bett

Bild: Toa Heftiba/Unsplash

Welchen Einfluss hat Pornografie und der Dauereinsatz von Sex in Werbung und Medien auf guten Sex? „Pornos sind prinzipiell nichts Schlechtes, nur leider sind sie aus feministischer Sicht meistens sehr fragwürdig. Mittlerweile gibt es hier aber auch einige feministische Angebote, siehe das ‚Porn Film Festival Vienna‘. Es ist aber tatsächlich so, dass häufiger Konsum oft dazu führt, dass manche ‚ohne‘ nicht mehr erregt werden, sie also immer Pornos brauchen. Viele Menschen verwechseln außerdem, dass Pornos keinen realen Sex abbilden, sondern Fiktion sind. Das merke ich immer wieder in der Praxis, als Sexualpädagogin an Schulen und in der Sexualberatung mit Erwachsenen. Pornos sind keine Weiterbildungsfilme. Auch die Körperbilder, die gezeigt werden, erzeugen unerfüllbare Erwartungen an sich selbst. Das macht viele Menschen unzufrieden. Sie wollen sich dann anderen Personen beim Sex gar nicht zeigen. Ich kenne viele Frauen, die denken, ihre Vulva sieht komisch aus, weil sie in Pornos immer Vulven sehen, die glatt, haarlos und symmetrisch sind – dabei sind diese meistens operiert.“

Wie kann man für Kinder und Jugendliche einen gesunden Zugang zu „gutem Sex“ schaffen? „Am besten von klein an. Indem Körperteile angesprochen werden, wie sie heißen – nicht mit ‚da unten‘ tituliert werden. Kinder dürfen sich selbst überall – auch am Genital – berühren. Die eigene Werthaltung und das eigene Aufwachsen soll reflektiert und Fragen wertschätzend beantwortet werden. Sie sollen die Möglichkeit der körperlichen Bewegung haben und  lernen, dass ihr sexueller Körper gut ist, genau so, wie er ist. Wir sollten als Vorbilder darauf achten, ihnen keine Körpernormen überzustülpen. Dass wir mit ihnen gemeinsam reflektieren und erklären, dass die Bilder in der Werbung, in Pornos und Social Media nicht echt sind und das immer wieder betonen. Falls wer dabei Unterstützung braucht: Auf meinem Blog findet man die besten Aufklärungsbücher aufgelistet.“