In Partnerschaft mit

Mein Zirbenbild zwinkert mir abends zu, lässt mich tiefer schlafen und bringt mir was übers Leben bei: dass ausgerechnet dann die wundersamsten Dinge entstehen, wenn wir uns richtig anstrengen müssen. Und dass es viel schlauer ist, mit Feinden zusammenzuleben, als sie abzumurksen.

Die Leute hängen sich ja die verrücktesten Sachen an ihre Schlafzimmerwände: unscharfe Fotos von halb nackten, verrenkt auf Diwane drapierten Frauen, Gemälde von astralumstrahlten Heiligen, die gerade vom irdischen ins himmlische Leben übergehen, oder moderne Farbansammlungen, die jede Deutung zwischen Asteroidensturm und Migräneanfall zulassen.

Ich hab ein Stück Holz an der Wand hängen. Wirklich. Einfach nur ein Stück Holz.

Es ist Zirbe. Sie ist in Tirol gewachsen, auf über zweitausend Meter Höhe. Der Baum war ungefähr dreihundert Jahre alt, als er gefällt wurde. Das ist für eine Zirbe fast noch Teenager, weil angeblich können Zirben tausend Jahre alt werden, aber trotzdem: dreihundert Jahre!

Anzeige
Anzeige

Der Baum in meinem Schlafzimmer wurde ungefähr zur selben Zeit geboren wie Immanuel Kant, Joseph Haydn und Johann Wolfgang von Goethe. Jetzt hängt er da, in quadratische Form gebracht von einem Tischler aus der Semmering-Gegend im niederösterreichischen Süden.

Das ist ziemlich viel Wirkung für ein busschen Holz, das es sich oberhalb der Baumgrenze ungemütlich gemacht hat.

Insgesamt mag das nicht nach der ganz großen Karriere für einen Baum klingen,wenn man sich so denkt: Da hat er ein paar hundert Jahre einsam oberhalb der Baumgrenze ausgehalten, bei tobenden Winterstürmen, krachenden Gewittern, bei plus 35 Grad im Sommer und bei minus 40 Grad im Winter.

Anzeige
Anzeige

Er hat sich gegen Lawinen aus Schnee, Eis und Geröll gestemmt, der junge Goethe ist vielleicht einmal vorbeispaziert, auf der Durchreise nach Italien, ein frisch geschlüpftes Gedicht rezitierend, oder Joseph Haydn war in Tirol auf Wanderurlaub und hat sich beim Rasten an den jungen Stamm gelehnt, fröhlich eine Melodie vor sich hin pfeifend, sehr wahrscheinlich vierstimmig.

Jetzt hängt er, akkurate 78 Zentimeter Seitenlänge, an meiner Schlafzimmerwand, mit seinen Rissen und Jahresringen. Wenn man mit den Fingerspitzen über die zurechtgehobelte Oberfläche streicht, fühlt sich das rau und glatt zugleich an, jeder Jahresring eine ganz kleine Erhebung, ein bisschen wie eine Schallplatte, und mit ein wenig Fantasie sehen seine Astlöcher aus wie zwinkernde Uhus im nächtlichen Wald

Es ist ja toll, wenn einem vorm Einschlafen noch ein paar Uhus zuzwinkern und wenn man mit den Fingerspitzen das Alter eines glattgehobelten Holzstücks nachzählen kann. Aber bei der Zirbe geht es natürlich vor allem um was anderes: um diesen zauberhaften Geruch, den sie verströmt.

Wenn ich abends ins Schlafzimmer komme, erwartet mich da eine ganze Sechzigerjahre-Drogerie aus Wald und Gebirge, Harz, Moos und Almglockengeläut, Murmeltier und scharfem Nordwind, der im August schon den ersten Schnee bringt.

Illustration, Frau, Bett, Waldumgebung, schlafen, Zirbenholz, ätherische Öle
Besser schlafen mit dem Geruch der Zirbe.

Stephanie Wunderlich

Dieser Geruch ist es auch, der die Zirbe zu einer geheimnisvollen, offenbar erstaunlich klugen, jedenfalls besonders mächtigen Arznei macht. Das wussten die Menschen in Tirol schon vor Jahrhunderten, als sie damit begannen, ihre Betten oder gleich das ganze Schlafzimmer aus Zirbenholz zu zimmern.

Wobei: „Wussten“ ist hier vielleicht nicht ganz korrekt. Die Menschen fühlten es einfach, dass man in einem Zirbenbett ruhiger schläft und erfrischter aufwacht. Es war damit die Wirkung, sozusagen, über Jahrhunderte spürschaftlich erwiesen, die Leute in den Bergen gaben sich damit zufrieden, und gut war’s.

  • Das Spüren mit Wissen untermauerte ein Steirer, Univ.-Prof. Dr. Maximilian Moser. Du kennst Professor Moser, wenn du carpe diem schon länger verfolgst, vielleicht als führenden Experten für unsere innere Uhr. (Wenn du viel mit dem Weltraum zu tun hast oder dich dafür interessierst, kennst du ihn vielleicht auch von daher; er war nämlich als medizinischer Betreuer an der österreichischen Austromir-Mission beteiligt.)

Moser hat sich schon vor knapp zwanzig Jahren die gesundheitliche Wirkung der Zirbe aus der Forscherperspektive genauer angesehen. Die Studie ist mittlerweile recht bekannt: Moser ließ eine Gruppe Menschen 72 Nächte lang in indifferenten Sperrholzzimmern schlafen und eine andere Gruppe in Zirbenholzzimmern.

Die gemessenen Unterschiede lassen keinen Interpretationsspielraum:

  • viel niedrigerer Puls, viel höhere Herzratenvariabilität, viel tiefere Erholung, viel erholsamerer Schlaf. Nämlich wirklich viel niedriger, viel höher, viel tiefer, viel erholsamer.

  • Dazu kam: Die positiven Wirkungen auf den Organismus ließen sich noch bis in die Mittagsstunden des folgenden Tags nachweisen. Das ist ziemlich viel Wirkung für ein bisschen Holz, das es sich oberhalb der Baumgrenze ungemütlich gemacht hat.

Die Wirkung der Zirbe steckt tatsächlich in diesem Sechzigerjahre-Drogerie-Geruch, in einem ganz speziellen ätherischen Öl, das die Zirbe produziert. Es heißt Pinosylvin. Wir nehmen es durch die Nase auf, von dort ist es nicht weit zum limbischen System. Das ist einer der evolutionär ältesten Bereiche unseres Gehirns, eine Art Kommandozentrale für alles, was mit Gefühlen zu tun hat. Dort beginnt das Pinosylvin auf der Klaviatur unseres Unbewusstseins ziemlich virtuos herumzuspielen.

Dabei wurden ätherische Öle gar nicht für uns gemacht.

Ätherische Öle erzeugen die meisten Pflanzen; alle Nadel- und in schwächerer Form auch Laubbäume. Sie tun das nicht zu unserer Erbauung beim Waldspaziergang, um unserem Nervensystem zu schmeicheln oder unseren Tiefschlaf zu verbessern. Pflanzen erzeugen ätherische Öle vielmehr aus ganz und gar unromantischen Motiven, verrät Maximilian Moser, nämlich um sich zu verteidigen und ihre Gesundheit zu erhalten.

  • Sie tun das, um Bakterien, Viren und Pilze oder auch Insekten abzuwehren.

  • Sie tun das, um sich gegen allzu garstiges Wetter zu wappnen.

  • Und: Sie beschleunigen mit ihren ätherischen Ölen die Abheilung erlittener Verletzungen, wenn das mit dem Verteidigen und Abwehren und Wappnen einmal nicht ganz so gut geklappt hat.

Illustration, Zirbenbaum, Sonne, Wind, Gewitter, Blitz, Regen, Schnee
Je schlimmer die Umstände, desto gehaltvoller die ätherischen Öle der Zirbe.

Stephanie Wunderlich

Und, das ist jetzt das Besondere an der Zirbe: Pflanzen bilden diese besonders duftenden Wirkstoffe umso intensiver, je lebensfeindlicher die Umgebung ist, in der sie sich behaupten müssen.

Wäre meine Schlafzimmerzirbe im Vorgarten einer Marchfelder Hofratswitwe aufgewachsen, liebevoll umsorgt, täglich mit abgestandenem, handwarmem Wasser gegossen und regelmäßig gedüngt, womöglich gar in eine schützende Wolke aus Insektiziden und Pestiziden gehüllt – sie wäre in ihrer verwöhnten Trägheit nie auf die Idee gekommen, ätherische Öle zu bilden.

So funktioniert das ja überhaupt in der Pflanzenwelt

An perfekten Südlagen, ideal bewässert und reichlich mit Nährstoffen versorgt, wächst bestenfalls marmeladiger Wein. Spannende, tiefgründige Tropfen gedeihen dort, wo es unregelmäßig Wasser gibt, wo es nachts kalt und tagsüber heiß ist, wo sich die Wurzeln tief in kargen Boden arbeiten müssen, um wenigstens ein paar Nährstoffe aufsaugen zu können.

Die wirksamsten Heilpilze kommen aus den unwirtlichsten Ecken Finnlands oder Sibiriens, das wertvollste Olivenöl wächst unter sengender Sonne auf karstigem Geröll: Je lebensfeindlicher die Verhältnisse, desto exquisiter die Inhaltsstoffe, diese ganzen Polyphenole, die Flavonoide, die Anthocyane ... und eben auch das Pinosylvin. Deswegen übrigens auch die Preisunterschiede bei Zirbenprodukten. Am besten ist man beraten, wenn man sicher sein kann, dass der Baum wirklich hoch oben gewachsen ist. In Südtirol klettern die Zirben sogar bis auf 2.500 Meter Höhe.).

Moser sagt, wir Menschen sind biologisch wohl doch nicht so weit von den Pflanzen entfernt, als dass uns diese Stoffe, die sie zur Selbstverteidigung und Selbstbehauptung bilden, nicht dienen könnten.

Wir sind nich schlau genug, um zu erkennen, dass wir nicht schlauer sind als die Natur.

Das ist, übersetzt, der vielleicht nicht ganz so angenehme Teil der Botschaft der Pflanzen an uns: Das Leben funktioniert außerhalb der Komfortzone am besten. Die Botschaft der Zirbe hat auch einen angenehmeren, zumindest einen Hauch romantischeren Teil. Der hat mit Bakterien, Viren und Pilzen zu tun.

Denn die ätherischen Öle der Zirbe wirken auf diese kleinsten Lebewesen nicht so, wie wir Menschen uns das angewöhnt haben, in unserem paranoiden Allmachtsdusel, nämlich mit dem Ziel der möglichst raikalen Ausrottung von allem, was sich uns bis drei nicht unterworfen hat. Wissenschaftlich nennt man das Selektionsdruck – wenn eine Art so sehr in die Enge gerät, dass sie ums Überleben kämpfen muss.

Genau das tun wir mit unserer modernen Medizin: Wir bombardieren Bakterien flächendeckend mit allerhand Antibiotika und zwingen sie damit dazu, sich so zu verändern, dass sie unsere chemischen Attacken überleben, wieder und wieder, bis halt irgendwann unsere Attacken ins Leere laufen. Wir sind nicht schlau genug, um zu erkennen, dass wir nicht schlauer sind als die Natur.

Bäume gehen an das Thema anders heran. Sie sorgen durch die Absonderung ihrer ätherischen Öle lediglich dafür, dass die Bakterien nicht überaktiv werden. Die dürfen sich vermehren, aber halt kontrolliert.

Mit seinen Feinden zusammenleben, sodass beide überleben können – die Zirbe kann das.