Schüchternheit überwinden: Mit diesen Übungen stärkst du dein schüchternes Kind
Schüchterne Kinder brauchen manchmal kleine Schubser, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Doch genauso wichtig ist es, Schüchterne liebevoll zu begleiten und zu akzeptieren: Nicht jedes Kind wird seine Schüchternheit komplett überwinden.
Ungefragt prasseln sie auf zurückhaltende Kinder ein, die gut gemeinten Ratschläge der Erwachsenen: „Trau dich doch!“. „Häng nicht so an mir!“. „Sprich lauter!“. „Zeig doch einfach auf im Unterricht!“. „Hab dich nicht so, spring endlich ...“
Alles gut gemeint, aber schlecht fürs Selbstbewusstsein. Denn Schüchternheit zu überwinden, sich „einfach“ zu trauen, funktioniert nicht auf Knopfdruck. Einfach ist daran für leise Menschen genau gar nichts. Und wer ständig von Eltern und Lehrkräften hört, wie er oder sie sein soll, hört vor allem eine Botschaft heraus: „So, wie du bist, bist du nicht gut. Das, was du fühlst, ist nicht richtig.“
Schüchternheit ist ein Persönlichkeitsmerkmal, keine Krankheit
Deshalb ist es so wichtig zu wissen, was Schüchternheit ausmacht, bevor Eltern versuchen, sie gemeinsam mit ihrem Kind zu überwinden. Schüchtern zu sein bedeutet:
sozial gehemmt zu sein
übermäßig vorsichtig oder ängstlich zu sein gegenüber Fremden sowie unbekannten Situationen
Schüchterne haben Angst davor, schlecht bewertet und zurückgewiesen zu werden
Und deshalb wenige soziale Kontakte und ein geringes Selbstbewusstsein
Schüchternheit ist aber keine Krankheit! Und – solange es keinen Leidensdruck gebe – auch keine Störung, sondern nur Ausdruck des Temperaments, betont der Schweizer Erziehungswissenschaftler Georg Stöckli. Laut dem Experten sind im Kindergarten-Alter gut ein Drittel der Kinder schüchtern, im Volksschulalter sinkt die Zahl auf 16 Prozent. Allerdings bleibt davon die Hälfte dieser Kinder dauerhaft schüchtern und nimmt sein zurückhaltendes Wesen ins Erwachsenen-Alter mit.
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Leicht erregbare Amygdala: Im Hirn sitzt der Grund für die Zurückhaltung
Forschende gehen davon aus, dass Schüchternheit vererbt wird. Mittlerweile weiß man auch: Stille Menschen haben eine niedrige Reizschwelle. Sie fühlen sich schneller überfordert durch äußere Reize, verstummen oder ziehen sich aus dem Geschehen zurück. Der Sprung vom unbekannten Sprungturm im Schwimmbad kann sie genauso beunruhigen wie das Übernachten bei Oma und Opa, eine Kinderparty beim Nachbarkind oder die mündliche Beteiligung in der Schule.
Warum das so ist, darauf hat die Wissenschaft mittlerweile eine Antwort: Bei Schüchternen ist im Gehirn die Amygdala, der sogenannte Mandelkern, besonders aktiv – und in dieser Hirnregion sitzt das Angst- und das Vorsichtszentrum. Es ist also die übererregbare Amygdala, die Schüchterne auf neue Reize mit Rückzug reagieren lässt.
Zu schüchtern? Das hat auch Vorteile!
Das soziale Umfeld signalisiert Schüchternen: Du hast lauter Makel – zu wenig laut, zu wenig Freunde, zu wenig Meinungen, zu wenig spontan ... . In Wirklichkeit bedingen die vermeintlichen Schwächen viele Stärken:
Schüchterne Menschen gelten als sehr empathisch: Da sie sich selbst nicht in den Vordergrund drängeln, schätzt man sie als Person, die gut zuhören und sich in andere einfühlen kann.
Weil sie viel beobachten, können sie Dinge objektiv beurteilen oder sie aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Schüchterne verstehen soziale Dynamiken oft sehr gut.
Gerade weil Schüchterne sich nicht aufdringlich verhalten, vertraut man ihnen eher.
Oft wirken sie deshalb auch sympathischer, nicht überheblich und zuverlässig.
Unangepasstes soziales Verhalten findet man bei Schüchternen selten – ihre niedrige Hemmschwelle hindert sie.
Wenn ein schüchterner Mensch wagt, sich mit einer Meinung oder Idee zu Wort zu melden, ist diese auf keinen Fall impulsiv, sondern gut überlegt und fundiert. Also in der Regel: sehr überzeugend.
Selbstbewusster werden: Wie du dein Kind in seiner Schüchternheit begleitest
Erster Schritt ist, anzuerkennen: Nicht dein Kind hat ein Problem, sondern du und/oder eure Umwelt, die Erwartungen ans Kind stell(s)t. Was braucht also dein Kind? „Im Grunde vor allem einen wachsamen Blick von dir und in schwierigen Situationen den Anstoß zur Eigenaktivität“, schreibt die Pädagogin Inke Hummel in ihrem Ratgeber „Mein wunderbares schüchternes Kind“.
Ziel ist es nicht, die Schüchternheit wegzubekommen. Das funktioniert auch nicht, weiß die Expertin: „Im Kern wird dein Kind zögerlich bleiben.“ Doch mit seiner Schüchternheit umzugehen, das kann dein Kind lernen.
Hast du allerdings das Gefühl, dein schüchternes Kind entwickelt starke soziale Phobien oder hat starke Trennungsangst, sprich Kinderarzt oder Kinderärztin darauf ab. Sie entscheiden, ob eine professionelle therapeutische Begleitung angemessen ist.
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Expertin Hummel betont in ihrem Buch, welche Positionen Eltern schüchterner Kinder verinnerlichen sollten:
„Fordern, aber nicht überfordern!“
„Fordern, aber nicht zwingen!“
„Stress mindern!“
„Lass dein Kind aktiv werden!“
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Euer Alltag sollte übrigens möglichst stressarm sein. Wie du weißt, ist das Gehirn von Schüchternen schneller überreizt, deshalb brauchen sie Zeit und Raum zum Rückzug.
Selbstwertgefühl stärken durch kleine Pflichten
Schüchterne Kinder merken regelmäßig, dass ihnen Dinge schwerfallen. Umso wichtiger, ihnen zu zeigen: Hey, du bekommst dafür anderes hin! Das funktioniert mit kleinen Pflichten: Im Garten/auf dem Balkon etwas selbst anpflanzen. Beim Einkauf im Supermarkt entscheiden, was ihr kauft. Überlegen, was ihr am Wochenende unternehmt. Lernen, kürzere Wege allein zu bewältigen. Gib ihm einen kleinen Aufpasser mit (Kuscheltier oder Glücksbringer) oder Walkie-Talkie bzw. Handy.Auch gut fürs Selbstwertgefühl: Wenn dein Kind sich traut, seine Vorzüge, sein Talent einzusetzen. Findet ein echtes Steckenpferd: Vielleicht mag es Bruder, Schwester oder den Großeltern vorlesen, zeigt dem Nachbarskind Tricks auf dem Scooter oder es hat ein kreatives Talent – und bekommt eine kleine Werkstatt oder ein Mini-Atelier eingerichtet.
Die Rollen tauschen
Selbstbewusster und mutiger zu werden, lässt sich mit Kindern spielerisch einüben: Im Rollenspiel bist dann du das Kind und es selbst der Erwachsene. Dann „steuerst du im Spiel wie zufällig Situationen an, die für die Scheu deines Kindes üblicherweise herausfordern sind“, weiß Pädagogin Hummel. So „kann es üben, ausprobieren, zeigen was es sich von dir wüscht und vieles mehr.“ Oder ihr macht im Rollenspiel einfach nur Quatsch und lacht oder veralbert mit Handpuppe oder Kuscheltier die Ängste von deinem Kind und auch dir. Du siehst: Viel reden ist angebracht und so manches von dir selbst preisgeben.Viel bewegen und sporteln
Ein gutes Körpergefühl stärkt jedes Kind – schüchternen aber kommt es umso mehr zugute, weil sie sich im sozialen Alltag oft als schwach erleben. Ein Teamsport oder überhaupt ein Kurs ist eher nicht die erste Wahl. Doch Seilspringen, Tanzen, Yoga, Pilates, Kampfsport-Übungen oder Gymnastik geht auch daheim perfekt. Und wenn es mutiger wird, kann Reiten für schüchterne Kinder der perfekte Sport sein: Mit einem Tier umzugehen, fällt ihnen meist leichter, als mit Menschen und stärkt das Selbstvertrauen ungemein. Sucht nach Reitställen, wo anfangs nur die Pflege von Ponys und spielerische Einheiten im Vordergrund stehen.Sprechen üben
Reden fällt zurückhaltenden Kindern richtig schwer, erst recht, wenn sie noch im Kindergartenalter sind. Sprich daher an der Käsetheke, beim Besuch bei der Oma oder beim Tratsch mit der Nachbarin euer Gegenüber darauf an, dass dein Kind gerade nicht antworten will. Ist dein Kind schon im Schulalter, kannst du aber mit ihm konkrete Rede-Situationen einüben. Keine Scheu vor vorformulierten Sätzen – sie bieten Sicherheit! Und wenn es in einem Gespräch dann zu stocken beginnt, bleibt in seiner Nähe und hole dein Kind mit Fragen zurück ins Gespräch. Besprecht hinterher die Situation. „Mehr als Gespräche hilft aber immer noch Vorleben“, weiß Hummel. Deshalb ist z.B. dein eigener Smalltalk im Alltag wichtig und wie du mit anderen Menschen höflich, aber bestimmt umgehst.Motivation steigern
Ein schüchterner Mensch ist gehemmt. Und wirkt wenig motiviert und neugierig. Kein Wunder: Sein Gehirn ist nun einmal darauf eingestellt, sich schnell zu sorgen. Herausforderungen? Bloß weg damit! Das Gehirn eines Schüchternen umzulernen und Neues positiv anzugehen, ist nicht ganz einfach. Expertin Hummel schreibt dazu: „Mehr Mut zur Neugier, mehr Lust auf Herausforderungen, mehr Eigenmotivation können entstehen, wenn das Kind spürt, dass sich sein Motiviertsein lohnt“. Das heißt nicht, das Kind extrinsisch zu motivieren und z.B. kleine Belohnungen fürs Mutigsein auszugeben – auch wenn das anfangs euer Weg sein kann! Entscheidender ist die innere Motivation und sich trauen, diese auch auszuleben.
Betone, dass Fehler, Missgeschicke und Rückfälle normal sind (Schüchterne sind oft perfektionistisch!), sei liebevoll und geduldig, denn nur so wächst Mut. Druck hingegen erstickt ihn schon im Keim. Demotiviert etwas Negatives dein Kind, analysiert gemeinsam, was schon gut war und wie es noch besser geht. Hat dein Kind spezielle Interessen, knüpfe daran an und meistert gemeinsam eine angstmachende Situation. Interessiert es sich beispielsweise für Comics, geh gemeinsam mit ihm zum Flohmarkt und steh ihm beim Verkaufsgespräch bei. Meistert einen Flying Fox, wenn es sich fürs Klettern und die Natur begeistert. Macht im Wohnzimmer eine Ausstellung mit seinen kreativen Werken und ladet Bekannte dazu ein. Nichts motiviert so sehr wie Erinnerungen an Gutes.