Schrothwickel für Anfänger
Verpuppt wie eine Raupe am Weg ins Schmetterlings-Dasein: Was passiert bei einem Schrothwickel?

Foto: Christoph Schöch / Gesundheitsresort & Spa Rosenalp
Erst hab ich "Ja", dann hab ich "Nein" gesagt – und beide Entscheidungen bereue ich bereits nach der ersten Sekunde: "Ja, ich will einen Schrothwickel ausprobieren" und "Nein, ich habe keine Platzangst."
Vorhin war das auch noch wahr: Ich leide eigentlich nicht unter Platzangst. Aber jetzt liege ich wie ein Käfer am Rücken, eingewickelt in eine geradezu absurd anmutende Anzahl von nassen und trockenen Laken, Handtüchern, Wärmeflaschen und Decken… festgezurrt. Und da ist diese aufkeimende Panikattacke. Ich glaub, ich krieg keine Luft.
Offenbar hab ich doch Platzangst. Blöder Moment, um etwas Neues über mich zu lernen.

Was ist eine Schrothkur?
Nein, sie hat weder mit der Schrotflinte zu tun, noch mit "Schrot und Korn" – und mit dem Schrottplatz auch nicht. Wir haben uns angesehen, woher die 4-Säulen-Kur kommt und wie sie funktioniert. Weiterlesen...
Zulassen kann man (wieder) lernen
"In der heutigen Zeit leiden viele Menschen unter ständiger Anspannung, meist verbunden mit einem erhöhen Stressindex, und neigen daher (...) zu einem Gefühl der Beklemmung in der eng anliegenden Ganzkörperpackung", schreibt die Schroth-Ärztin Dr. Susanne Neuy in ihrem Standardwerk zum Thema Schrothkur. Und weiter: "Nach einigen Kurtagen gelingt es den Kurgästen meist, sich von den Alltagsbelastungen zu lösen und zu entspannen. Dann wird die Ganzkörperpackung (...) problemlos vertragen."
Das ist irgendwie tröstlich – aber mehr so als allgemeiner Gedanke. Im speziellen Fall hilft mir das nicht: Ich bleibe ja nicht mehrere Kurtage hier. Ich mach nur mal diese Schnupperpackung.
Okay, atmen. (Yoga-Atmung hat mir die Kurärztin hier im Gesundheitsresort Rosenalp beim Vorgespräch empfohlen. "Das hilft auch beim Schwitzen", hat sie gesagt.) Außerdem: In der Hand habe ich einen Notfallknopf. Ich soll ihn drücken, wenn ich Hilfe brauche, weil selber kann ich mich ja nicht befreien. Ich überlege, ihn gleich zu drücken. Jetzt. Auf. Der. Stelle. (Wir erinnern uns: Panikattacke…)
Aber die Kurpackerin ist so sympathisch. Sie heißt Beate. Patente Frau im besten Alter. Und sie arbeitet seit zwei Uhr früh, denn zwei bis vier Uhr ist der Zeitraum, in dem die Patient*innen eingepackt werden. ("Ideale Zeit für die Entgiftung", sagt die Kurärztin.) Also ist Beate mitten in der Nacht ins Zimmer gekommen, hat mir einen verdammt guten Kräutertee gebracht, dann das Bett präpariert und sich richtig viel Mühe gegeben, mich nach allen Regeln ihrer Kunst zu einem regungslosen Deckenberg zu schnüren. Da will ich sie nicht enttäuschen und nehme mir fest vor: Den Notfallknopf drück ich nicht!
Was, wenn jetzt ein Feuer ausbricht?
Oder, wenn ich mich kratzen muss?
"Kratzen geht nicht", sagt Beate, "Da braucht's halt ein bisserl Körperbeherrschung." (Das mit dem Feuer hab ich nicht laut gefragt. Ich seh zwar aus wie ein Würstel im Schlafrock, aber ich hab noch einen letzten Rest Stolz.)
Dann sagt Beate noch: "Ich komme in zirka zwei Stunden wieder und packe Sie aus." Gut, denk ich. Zwei Stunden schaff ich. Ich mach's einfach wie auf der Shakti-Matte. Das war am Anfang auch heftig und mittlerweile ist es DAS BESTE. Vielleicht kann ich einschlafen?
Wickel with Benefits
Gleich vorweg: Geschlafen hab ich dann nicht. In mir war einfach zu viel "Fight or flight"-Modus aktiviert. Schätze, der Parasympathikus war irgendwo unter einer der Wolldecken eingeklemmt und hat sich nicht vorgetraut… "Das ist okay", tröstet die Kurärztin, "Die Patient*innen sollen sowieso während der Packung wach bleiben, dann schwitzen sie mehr und die Anwendung wirkt besser."
Außerdem hat mir das Wachbleiben die Chance gegeben, zu reflektieren, was hier eigentlich gerade passiert. Also:
Durch den Schrothwickel, ebenjene Ganzkörperpackung, bei der oben nur der Kopf rausschaut, wird der Körper in eine Art künstliches Fieber versetzt: Er schwitzt, entwässert und entgiftet sich dabei selbst. Das kann man gut beobachten: Die Laken, in die Raucher eingewickelt werden, färben sich durch die Körperausscheidungen gelb.
Weil der Körper Säuren und Schadstoffe durch die Haut ausscheidet, kommt es zu einer Entlastung des Bindegewebes.
"Daneben wirkt sich die Packung positiv auf Immunsystem, Bewegungsapparat, Stoffwechsel und Durchblutung aus. Sie hat einen krampflösenden, schmerzstillenden, beruhigenden und ausgleichenden Effekt auf die inneren Organe", schreibt Susanne Neuy.
Ich bin meine eigene Sauna
All das geschieht durch die Kraft der "feuchten Hitze", die für Johann Schroth der Schlüssel zur Gesundheit – und die wichtigste Säule der nach ihm benannten Therapieform – war. Die Schwitzkur fühlt sich zeitweise an wie eine Sauna. Mit dem Unterschied, dass in der Sauna die Hitze von außen an den Körper herangeführt wird, während in der Packung der Körper die Hitze selbst erzeugt.
Das ist anstrengend. Als Beate nach zwei Stunden kommt und meinem Verpuppungs-Dasein ein Ende macht, bin ich müde. "Mindestens eine Stunde ruhen", sagt sie. Das muss man mir nicht zwei Mal sagen. Ich kriech zurück ins (nunmehr packungsfreie) Bett und ehe ich's mir versehe, werden aus der "mindestens einen Stunde" drei…
Nie wieder oder voll dabei?
Drei Wochen dauert eine Schrothkur im Idealfall. Eingewickelt werden die Patient*innen dabei jede Nacht. (Außer Samstags. Irgendwann brauchen die Packerinnen ja auch Pause). Das heißt: Jede Nacht zwischen zwei und vier Uhr Früh, kommt wer ins Zimmer und weckt dich auf.
Und jede Nacht liegst du da reglos zwei Stunden mit Schnappatmung, Panik und Notfallknopf in der Hand? – "Nein", sagt Beate, "Es wird viel besser. Bereits beim zweiten Mal, wenn der Körper schon weiß, was auf ihn zukommt. Und ich hab eine Patientin, die krieg ich gar nicht mehr aus der Packung raus. Die möchte am liebsten sieben Stunden drin bleiben. Die Leute gewöhnen sich wirklich schnell an das Ritual. In der einen Nacht, in der wir Packerinnen Pause machen, vermissen sie uns."
Irgendwie glaub ich das sogar. Die Patient*innen berichten fast alle von einem großen Gefühl der Leichtigkeit, einem Zuwachs an Lebensqualität, der noch viele Monate danach anhält. Hmmm.
Und plötzlich überrasche ich mich selbst mit einem Gedanken: Ich will das auch machen! Nicht nur schnuppern, sondern Vollzeit. Keine halben Sachen. Weil aus der Verpuppung dann eben doch ein Schmetterling wird…
QUELLEN:
Buch "Multitalent Schrothkur" von Dr. Susanne Neuy (Kluges Verlag)
Gespräch mit Dr. Aliia Fink, Kurärztin im Gesundheitsresort Rosenalp, Oberstaufen