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Die Nacht löst den Tag ab. Und das Mädchen starrt in die dunkle Stille des Zelts, in dem sie liegt. Wenn sich der schwarze Vorhang über die Welt legt, ist ihr das jedes Mal aufs Neue unheimlich. Alles, was Afrikas Savanne für sie schön und aufregend macht, scheint von einer finsteren Wolke verschluckt zu sein.

Das Steppengras: Untertags ist es grün, gelb, rot. Jetzt geben die Halme nur gespenstisch raschelnde Schatten ab. Auch das Zwitschern der Vögel ist verschwunden, das Mädchen hört bloß den eigenen Atem und ein paar Kröten quaken. Ihre Augen wandern zum Feldbett der Eltern. Es ist leer. Die Erwachsenen sitzen noch draußen am Lagerfeuer, der Nachtwind trägt Wortfetzen und leises Lachen herüber.

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„Komm raus“, flüstert plötzlich eine Stimme. Sie klingt fremd, aber trotzdem irgendwie vertraut. „Komm raus“, tönt sie beharrlich. Das Mädchen öffnet den Reißverschluss ihres Zelts. Ihre Augen versuchen, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, aber sie können keine Gestalt ausmachen. „Hier unten“, sagt die Stimme. Ein Buschhase mit graubraunem Fell schaut sie belustigt aus dunklen, mandelförmigen Augen an. Hinter ihm thront freundlich lächelnd ein Stachelschwein.

Bloß weil du unsere Sprache nicht sprichst, heißt das nicht, dass wir nicht sprechen können. Du musst nur genau hinhören, wie jetzt.

„Ihr könnt sprechen?“, fragt das Mädchen. „Na klar“, sagt der Buschhase und kratzt sich mit einem Hinterlauf seine Riesenlöffel. „Jeder kann sprechen.“ – „Nein, Tiere können das nicht“, schüttelt das Mädchen den Kopf. „Bloß weil du unsere Sprache nicht sprichst, heißt das nicht, dass wir nicht sprechen können. Du musst nur genau hinhören, wie jetzt.“ Das Mädchen schaut von links nach rechts. „Ich werde wieder hineingehen“, sagt sie schließlich.

Schlafendes Mädchen
Schlafendes Mädchen

Bild: Vanessa Lovegrove

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„Wieso denn?“, wollen der Hase und sein stacheliger Kumpane wissen. „Nachts gehen viele gefährliche Kreaturen um, es ist nicht sicher“, flüstert das Mädchen. Der Hase und das Stachelschwein blicken einander belustigt an. „Aber die Nacht ist genauso wie der Tag, nur die Lichtverhältnisse sind anders“, meint der Hase. „Der Mond ist wie die Sonne“, wirft das Stachelschwein ein. Und dann meinen beide mit einladender Geste: „Ach komm, setz dich zu uns. Bloß für ein paar Minuten. Die Nacht macht dir nur deshalb Angst, weil du sie nicht verstehst.“

Das Mädchen hockt sich zögerlich neben den Buschhasen. „Was verstehe ich nicht?“, fragt sie. Auf dieses Stichwort scheint der Hase gewartet zu haben. Er räuspert sich, streckt die Löffel kerzengerade in die Höhe und beginnt, von den Vorzügen und Geheimnissen der Dunkelheit zu schwärmen, während das Stachelschwein nach jedem Satz theatralisch mit seinem Schwanz klappert. Das Mädchen bekommt zu hören, dass der Rückzug der Sonne eine Wohltat sei, sowohl für lichtempfindliche Augen als auch für pelzige Haut. Die Nacht biete obendrein Schutz für kleine Lebewesen – Regenwürmer, Frösche, Schnecken, Motten, Nachtfalter.

„Sie alle haben in der Dunkelheit weniger Fressfeinde, und ihre Haut bleibt elastisch und feucht, in der Sonne aber würden viele verbrennen.“ Eine Fledermaus zischt vorbei und landet vor dem Trio. „Ich habe euch belauscht von da oben. Die Nacht ist großartig“, pflichtet sie dem Hasen und dem Stachelschwein bei. „Vor allem aus meiner Perspektive passieren die unglaublichsten Dinge.“

Man könne Liebespaare beobachten. Tierbabys, die erste Schritte in die Welt machen. Sogar die Bäume seien entspannter. Sie senken nachts ihre Äste ganz leicht herab, bevor sie sich morgens wieder der Sonne entgegenstrecken. „Nachts wird aber auch gejagt“, wirft das Mädchen ein. „Löwen könnten euch was antun.“ Der Hase lacht, und das Stachelschwein plustert sich auf. „Diese halbstarken Felltiger müssen uns erst einmal kriegen. Und wenn – na, dann ist es eben so. Wir alle brauchen was im Bauch.“ Das Mädchen schüttelt resigniert den Kopf.

Du hast auch deine Intuition, deinen inneren Kompass. Der lässt dich nie im Stich.

In diesem Moment gesellt sich eine Eule dazu und nimmt dem Hasen und dem Stachelschwein mit ihrer natürlichen Autorität die Gesprächsführung ab. „Mädchen, du bist in der Nacht nicht so hilflos, wie du vielleicht glaubst. Du hast von der Natur tolle Sinne mitbekommen. Wenn du nicht sehen kannst, kannst du immer noch hören. Du kannst tasten, riechen, schmecken. Vertraue auf diese Fähigkeiten, sie sind ein Teil von dir.“ Und dann sagt die Eule, die nicht umsonst als die Weise gilt: „Du hast auch deine Intuition, deinen inneren Kompass. Der lässt dich nie im Stich.“

Und so lautlos wie sie gekommen ist, verschwindet sie auch wieder. Das Mädchen schaut der Eule nach, und ihr Blick verliert sich im Sternenhimmel, dem Glitzern und Funkeln, der Himmel sieht wie ein endlos weiter Diamantenteppich aus. „Schön, nicht wahr?“, sagt der Hase. „Die Magie kommt jede Nacht aufs Neue zu uns. Die Sterne geben uns Licht und Orientierung, damit wir uns besser zurechtfinden.“ Und dann sagt der Hase, der immer ein bisschen neidisch auf die Wortwahl der Eule ist, etwas, das auch dem weisen Vogel gefallen würde. „Die Sterne sind aber auch dazu da, dass du träumst. Vergiss niemals zu träumen.“

Die Mutter deckt das Mädchen zu. Pssst, sagt sie zum Vater. Sie ist eingeschlafen. Ich hoffe, sie erlebt etwas Schönes.