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Gernot Candolini ist Labyrinth-Designer. Ja, das gibt’s. Für Klöster und Volksschulen, für Kurparks oder den Garten des Schlosses Schönbrunn – rund 50 Labyrinth- oder Irrgarten-Projekte hat der sympathische Innsbrucker bislang begleitet. Wir haben mit ihm über das geheimnisvolle Ursymbol Labyrinth gesprochen.

Herr Candolini, lassen Sie uns gleich am Anfang klären: Labyrinthe und Irrgärten sind nicht dasselbe? Gernot Candolini: „Nein. Diese Verwechslung ist natürlich ein Klassiker. Ein Labyrinth hat nur einen Weg und dieser führt letztlich immer in die Mitte – also zum Ziel. Ein Irrgarten hat Abzweigungen, unterschiedliche Wege und dadurch die Möglichkeit, sich zu verirren.“

Das berühmte Labyrinth von Kreta, aus dem der Minotaurus nicht herausgefunden hat, war also ein Irrgarten? „Nein, ein Labyrinth. Man muss das Labyrinth, so wie den Minotaurus als Metapher verstehen. Es sind Bilder für uns selbst und unsere Suche.  Alle antiken Darstellungen des Labyrinths von Kreta zeigen ein Ein-Weg-Labyrinth.“

Das heißt: Der Minotaurus, der darin gefangen war, hätte ganz leicht rausfinden können? „In diesem Sinn natürlich ja, und trotzdem ist genau das auch, für uns oft nicht leicht. Vielleicht geht es gar nicht darum, dass jemand den Weg findet, sondern darum, dass er ihn geht?“

Ah … das ist spannend! „Ja, in der Minotaurus-Sage liegt viel interessante Symbolik. Wenn Theseus in das Labyrinth geht, um den Minotaurus zu bekämpfen, hat er einen Faden mit, damit er wieder herausfindet.“

… aber den braucht er gar nicht, wenn das Labyrinth nur einen Weg hat! „Genau. Aber, die eigentliche Frage ist, wohin führt ihn sein Weg? Der Weg hineinführt ihn zum Kampf, zur Auseinandersetzung. Und der Faden führt ihn hinaus zur Ariadne – also zur Beziehung. Man nennt deshalb auch den Weg hinein den “Heldenweg” und den Weg hinaus den ‚Weg zur Liebe‘.”

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Das Labyrinth ist ein Ursymbol der Menschheit. Lässt sich überhaupt sagen, wann und wo das erste entstanden ist? „Die Entstehung des Labyrinths liegt im Dunkeln. Sogar das Wort ‚Labyrinth‘ ist ein vor-griechisches Wort, das sich der Übersetzung entzieht: Wir wissen nicht, was es genau heißt. Was man datieren kann, sind Labyrinthe, die als Dekoration auf Vasen gemalt wurden. Eines der ältesten datierbaren Labyrinthe hat ein Buchhalter auf die Rückseite eines Tontäfelchens eingeritzt. Vorne drauf war eine Ziegenliste. Er hat wahrscheinlich auf die Bauern gewartet, die ihre Ziegen bringen und beim Warten hat er auf die Rückseite ein Labyrinthsymbol gekritzelt.“

 Da ging’s dann wohl um Zeitvertreib – oder ging es da schon um Spiritualität? „Das weiß man nicht. Das Labyrinth ist als Symbol so universell, dass es offen ist für viele verschiedene Verwendungsmöglichkeiten und Interpretationen. Es ist tatsächlich ein Zeitvertreib, auch ein Spiel, ein Spaß. Es macht Kindern unglaubliche Freude, da durchzulaufen. Es gibt auch Beispiele aus der Kulturgeschichte, die zeigen, dass verschiedene Völker das Labyrinth als Lauf- oder Tanzspiel verwendet haben. Aber natürlich ist es bei all dem auch immer ein Symbol für den Lebensweg des Menschen – und damit ist es natürlich ein tief spirituelles Symbol.“

Ist es das, was uns so fasziniert? Dass wir uns darin wiederfinden? „Mein erstes Schlüsselerlebnis mit dem Labyrinth war, dass ich einfach eines auf der Wiese ausgemäht habe. Danach hab ich mich zum Verschnaufen daneben auf eine Parkbank gesetzt und es sind immer wieder Leute vorbeigekommen und haben das Labyrinth kommentiert. Und ein Kommentar von einem älteren Mann war: ‚Gell, des is wia’s Leben! Es ist nicht einfach, aber man kommt an.‘ - Und dann hab ich mir gedacht: Stimmt. Es ist wirklich wie das Leben. Später hab ich mich intensiver damit befasst und gemerkt: Ja, Labyrinthe werden als Lebenssymbol verwendet. Sie sind eine Reise durch die Zeit des Menschen, mit Wendungen, mit Wegen, die Nahe an der Mitte sind und dann doch wieder weit davon wegführen. Aber auch mit dieser Zusage: Wer am Weg bleibt, wer sich dem Weg anvertraut, der erreicht auch seine Ziele.“

Weil man oft wirklich das Gefühl hat, man ist fast am Ziel und dann führt’s wieder ganz nach außen … „Genau.“

Seintlabyrinth, Labyrinth
Und, kennst du auch den Unterschied zwischen Labyrinth und Irrgarten?

mauritius images / Paolo Gallo Modena / imageBROKER

Ist denn die Grundform eines Labyrinths immer gleich? „Die Formengeschichte ist sehr überschaubar. Es gibt die klassische, kretische Form, die im Mittelmeerraum entstanden ist. Die hat ein festes Schema mit sieben Umgängen bzw. Kreisen um die Mitte herum. Diese Form wird heute immer noch oft verwendet. Dann gibt es das römische Labyrinth mit vier Quadranten, aber auch mit dem gleichen Prinzip, dass es nur einen Weg gibt. Und dann hat sich in der Gotik noch einmal eine neue Labyrinthform etabliert, mit elf Umgängen. Diese Labyrinthe wurden häufig in Kathedralen eingebaut, etwa das Labyrinth von Chartres. Das ist bis heute eines der meist kopierten Labyrinthe, nachgebaut auf der ganzen Welt.“

Trotzdem ist jedes Labyrinth einzigartig – auch wenn die Grundform gleich ist? „Man kann mit den Formen im Design spielen, die Wege ein bisschen anders führen. Wenn ich einen Labyrinth-Auftrag habe, versuche ich immer ein wenig Eigenständigkeit einzubringen, etwa durch die Gestaltung des Materials. Aber ja: Jedes Labyrinth lässt sich immer auf diese Grundformen zurückführen.“

Welche Materialien werden denn verwendet? Klassisch denke ich immer nur an Hecken oder Rasen … „Es geht letztlich immer darum, ein Muster auf den Boden aufzubringen. Dafür braucht es natürlich Kontrast. Diesen Kontrast kann man durch hell/dunkel oder durch Farben herstellen, aber auch, indem man z. B. ein Labyrinth mit Steinen auflegt.“

Ah, natürlich! Jetzt verstehe ich das erst: Weil für ein Labyrinth ein Muster am Boden ausreicht – im Gegensatz zum Irrgarten, wo ich den Weg von oben nicht sehen darf? „Genau. Der Irrgarten existiert erst seit dem 16./17. Jahrhundert. Da ist es interessant, sich zu fragen, warum er damals entstanden ist. Das ist natürlich die Zeit der Aufklärung – und die Zeit einer Geisteshaltung, die strikt unterscheidet: Was ist falsch und was ist richtig? Lasst uns die Welt einteilen – in ‚falsch‘ und in ‚richtig‘. Die Vernunft entscheidet jetzt. Und wenn die Vernunft allein entscheidet, dann will sie genau wissen: Was ist der richtige Weg? So entsteht die Idee, man könnte sich in einem Labyrinth ja auch verirren, indem man ständig vor die Entscheidung gestellt wird, welchen Weg man einschlägt. Diese permanente Einteilung in falsch und richtig ist mittlerweile tief in unserer Kultur verwurzelt.“

Heckenlabyrinth, Labyrinth
Gernot Candolini erzählt uns alles über die Symbolik des Labyrinths.

mauritius images / MoonWolf / Alamy / Alamy Stock Photos

Das heißt, der Irrgarten ist moralisch und das Labyrinth ist spirituell? „Kann man so sagen. Der Irrgarten stellt die Frage ‚Gehst du falsch oder gehst du richtig?‘ – das Labyrinth stellt die Frage ‚Gehst du oder gehst du nicht?‘ Das ist eine andere Haltung: Es geht nicht darum, Fehler zu vermeiden, sondern sich auf einen Weg zu machen und zu schauen, wie man diesen Weg bewältigen kann. Das ist etwas ganz Anderes als diese Bestrafungskultur, wie wir sie von der Schule kennen: Man darf keine falschen Antworten geben, sonst …“

Bei einem Irrgarten kommt auch der Faktor Zeit ins Spiel: Wer schafft es am schnellsten? – und beim Labyrinth geht es oft mehr ums Zeit lassen. „Ja, und ein weiterer Faktor kommt beim Irrgarten dazu. Der Faktor Angst. Angst, dass ich es nicht schaffe und nicht mehr rauskomme … In der Schule herrscht ein ‚Irrgarten-Denken‘: Deshalb sagen Schüler auch ‚Wie komme ich durch?‘. Ein ‚Labyrinth-Denken‘ hingegen wäre: ‚Was kann ich auf dem Weg lernen? Wie schaffen wir es gemeinsam am besten?‘“

Gemeinsam? Für mich war ein Labyrinth immer ein Weg, den man allein geht, zur Innenschau … „Ein Labyrinth ist auch ein Ort der Begegnung. Es geht beides. Viele Menschen sagen, gerade, weil sie sich nicht darum kümmern müssen, wohin der Weg geht, kommen sie zu einer ganz tiefen, inneren Entspannung. Gleichzeitig sieht man ja: Wer geht aller diesen Weg? Begegne ich vielleicht jemandem Man nimmt die anderen wahr, man merkt, man ist gemeinsam unterwegs. Ich bin einmal mit einer Hochzeitsgesellschaft durch ein Labyrinth gegangen, hundert Leute – und die Reaktion war: ‚Weißt du, das war jetzt die erste Hochzeit, wo ich alle gesehen hab!‘ Weil man einander ja immer irgendwann entgegenkommt.“

Wie kann ich das Labyrinth für mich spirituell nutzen? Gibt es Gipfelerlebnisse in Labyrinthen? „Ja. Es gibt die gesamte Bandbreite. Es gibt Menschen, für die sich, in dem Moment, wo sie das Labyrinth begangen haben, das ganze Leben irgendwie auftut bzw. eine Frage klärt, die sie schon lange in sich tragen. Das habe ich erlebt. Aber natürlich gibt es auch Leute, die durchgehen und sagen: Das war jetzt nichts Besonderes. Das hängt immer davon ab, was den jeweiligen Menschen gerade bewegt und beschäftigt. Das Labyrinth ist ein guter Landeplatz für die Seele: Wer gerade ein Thema hat, für den kann sich da was Gutes entfalten. Für andere ist es nicht so intensiv.“

Wieviele Labyrinthbauer gibt es weltweit? „Natürlich kann man sagen, jeder, der mal ein Labyrinth gebaut hat, ist ein Labyrinthbauer. Aber professionellere kenne ich noch einen in England, zwei in Amerika … Es gibt relativ wenige.“

Buchtipp: „Labyrinth: Wege der Erkenntnis und der Liebe.“ Von Gernot Candolini, Claudius Verlag.