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Was mich an meinem aktuellen Aufenthaltsort Rio de Janeiro immer wieder ins Grübeln bringt: Wie eitel diese Stadt ist – in ihren noblen Ecken finden sich reihenweise Praxen von Beauty-Docs. Das Land liegt nach den USA weltweit auf Platz zwei, was die Anzahl von Schönheitseingriffen betrifft – aber es ist nicht aufdringlich eitel. Dass da angeblich so viel geschnippelt und gespritzt werden soll, sieht man nicht. Zumindest springen mich hier keine Plastikbrüste, Schlauchbootlippen oder Botoxmasken an. Nur manchmal, wenn ich Joggerinnen begegne, die obenrum ein wenig mehr als einen knappen Triangelbikini tragen und ich bemerke, dass sich da wenig hin- und herbewegt, wundere ich mich ein bisschen, aber das wars auch schon wieder, denn es könnten ja auch gute Gene dafür verantwortlich sein.

Kurz: Ich fühle mich nicht wie in Plastic-City. Aber das Schönheitsideal scheint sich auch hier gerade im Wandel der Zeit zu befinden und ist ein Thema, das spürt man, in allem.

Insofern finde ich es immer interessant mit Vitória zu plaudern. Vitória ist Dermatologin mit Schwerpunkt Schönheitsmedizin, wir haben uns über Bekannte kennengelernt und auf Anhieb gemocht. Neulich, als ich durch den Stadtteil Leblon spazierte, eine teure Gegend, in der Vitória ihre eigene Praxis betreibt, sind wir uns auf der Straße in die Arme gelaufen. „Wie gehts dir mit der Arbeit?“, fragte ich. Vitória musste wegen der Pandemie ihre Praxis für drei Monate schließen, von Mitte März bis Mitte Juni war alles dicht.

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Niemand will sich krass verändern, aber man investiert trotzdem ordentlich, um erholt und jünger auszusehen.

Vitória, Dermatologin mit Schwerpunkt Schönheitsmedizin in Rio de Janero

„Es ist schräg“, antwortete Vitória. „Ich versuche gerade herauszufinden, inwiefern Corona unser Schönheitsideal beeinflusst, wie es sich im Wandel dieser besonderen Zeit verändert. Und ich sehe es schon an meinen Patientinnen. Die, die vorher nur mit dezenter French-Manicure kamen, tragen plötzlich feuerrote Nägel.“ „Na ja, das kann ich verstehen“, meinte ich und blickte auf meine eigenen, lackierten Nägel, die mir jedes Mal aufs Neue, wenn ich sie anschaue, Freude machen.

„Aber hast du in puncto Schönheitsbehandlungen mehr oder weniger zu tun?“, wollte ich wissen. „Derzeit mehr, und das überrascht mich. Ich dachte eigentlich, die Leute würden durch die Wirtschaftskrise weniger Geld ausgeben wollen. Und ich war der Meinung, der Zeitgeist hätte sich geändert. Immerhin reden alle von Meditation, Minimalismus und von Besinnung auf die wahren Werte im Leben. Wir haben gelernt, dass man nicht immer top frisiert und geschminkt sein muss, und dass die Haare auch einmal einen Ansatz haben können, ohne dass davon die Welt untergeht.“ „Was lassen deine Patienten denn machen?“ – „Kleine Sachen, aber davon in Summe mehr. Also statt einer Faltenunterspritzung, nimmt man dann auch noch die Laserbehandlung dazu. Niemand will sich krass verändern, aber man investiert trotzdem ordentlich, um erholt und jünger auszusehen.“

Schild zu einem Beautysalon

Bild: Waltraud Hable

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Nach ein paar Minuten beschlossen wir, dass das Ganze vielleicht in der Hoffnung passiert, dass der Schein aufs Sein abfärben möge. Emotional ist die Pandemie belastend, da scheinen viele morgens in ein von Sorgenfalten frei gebügeltes Gesicht schauen zu wollen.

Ich glaube, das, was wir uns viel lieber zulegen sollten, ist ein strahlendes Lächeln.

Vitória, Dermatologin mit Schwerpunkt Schönheitsmedizin in Rio de Janero

Für Vitória könnte sich die Sache dennoch noch drehen. „Ich habe versucht, zu recherchieren, welche Auswirkungen die Spanische Grippe damals, 1918 bis 1920, auf die Schönheitsvorstellungen hatte, aber ich habe wenig Literatur dazu gefunden. Das Patent für Nagellack wurde 1919 angemeldet, das ergibt Sinn. Und in der Mode wurde die Rückkehr des zarten, durchsichtigen Schleiers gefeiert. Man trug ihn mit Hut, quasi ein dekorativer Mund-Nasen-Schutz.“ „Wenn sich das wiederholt, hast du vielleicht bald gar nichts mehr zu tun“, lachte ich. „So ein zarter Stoff wirkt wie ein schmeichelnder Fotofilter, er ebnet das Hautbild und Falten siehst du durch das Ding auch nicht.“

„Weißt du was?“, grinste sie. „Ich wäre durchaus dafür. Aber ich glaube, das, was wir uns viel lieber zulegen sollten, ein strahlendes Lächeln ist. Falten und Sonnenflecken fallen in einem belebten Gesicht weniger auf, als in einem, das immer nur traurig und müde schaut. Und kostenlos ist so ein Lächeln auch.“

Habe ich schon erzählt, dass ich Vitória und ihre Einstellung mag?