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Jay Shetty: „Meditation ist ein bisschen wie Gesundheit. Solange sie da ist, bemerkst du oft gar nicht, welche positive Kraft durch dein Leben strömt. Aber wenn sie wegfällt, wenn du mal längere Zeit auf sie verzichtest, dann wird klar: Da fehlt etwas! Schmerzlich.“

„Blödsinn“, sage ich. „Ich meditiere nicht. Mir fehlt das auch nicht.“

„Na ja“, meint Jay Shetty, „es gibt viele Arten, wie wir unseren Geist in einen meditativen Zustand bringen können. Du gehst laufen. Du kochst. Das Wichtigste ist, dass du in deinem Leben etwas findest, das deinen Geist zur Ruhe kommen lässt. In der buddhistischen Lehre heißt es: Was Bewegung für den Körper ist, das bedeutet Ruhe für den Geist.“

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Die transformative Kraft des Meditierens einer großen Anzahl an Menschen näherzubringen, darin ist Jay richtig gut. Sieben Milliarden Aufrufe haben die YouTube- und Facebook-Videos des ehemaligen Mönchs mittlerweile. Sein Buch „Das Think Like a Monk-Prinzip“ war heuer allein durch die Vorbestellungen ein Bestseller – schon lange vor dem Erscheinungstermin. Deshalb will ich mit Jay übers Meditieren reden. Vielleicht kann er mich überzeugen?

Tatsache ist: Ich bin Theorieprofi. Warum Meditation gut für mich wäre, weiß ich längst – sie stärkt das Immunsystem, sie reduziert Angst- und Stressgefühle, sie reguliert Blutdruck, Atmung, Botenstoffe, Resilienz, blablabla ... Alles wissenschaftlich belegbar. Aber für mich ist Meditation wie Selleriesaft. Der hat auch Vorteile. Ich mag ihn trotzdem nicht.

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Okay, denke ich, das mit dem Laufen stimmt auffällig. Diese morgendliche Stunde, allein mit meinen Gedanken und dem Donaukanal, würde mir fehlen. An Tagen, an denen dafür keine Zeit bleibt, bin ich irgendwie fahrig, vermutlich auch nicht die angenehmste Bürokollegin ...

„Genau deshalb“, sagt Jay, „empfehle ich Meditation am Morgen. Sie stellt die Weichen für den ganzen Tag. Aber ehrlich: Hauptsache, du findest überhaupt Zeit dafür! Dass eine berufstätige Mutter, die Jausenbrote und Schultaschen herrichtet, in der Früh eher nicht meditieren wird, ist klar – dann halt am Abend. Einmal am Tag braucht der Kopf diese Pausetaste. 20 Minuten sind schon super. Es muss nur jeder seinen eigenen Weg finden, das in sein Leben zu integrieren.“

Jay Shetty über Spiritualität für Pragmatiker

Ich mag Jay. Er ist die richtige Mischung aus spirituell und pragmatisch. Auf der nach oben offenen Skala in der Kunst, „seinen Platz in der Welt und seinen Frieden in sich zu finden“, steht er gut 50 Stufen über mir. Okay, eher 5.000. Er ist trotzdem kein Heiliger. Vermutlich hat er beim Meditieren auch schon einmal eine nervige Gelse erschlagen, statt ihr mit Dankbarkeit und Demut zu begegnen (das frag ich ihn jetzt nicht, aber ich kann’s mir zumindest vorstellen).

„Meditation gibt dir eine Fernbedienung für deinen Geist in die Hand: Du wählst das Programm. Man weiß ja mittlerweile, dass wir rund 80.000 Gedanken am Tag haben. Davon sind 80 Prozent negativ. Meditation ist mächtig, denn sie hilft zu entscheiden, welchen dieser Gedanken du Raum geben willst. Zudem schafft sie Ruhe und Platz, auf deinen Körper zu hören. Das tun wir nämlich selten. Du kannst dir das so vorstellen: Wenn dein Partner ein total hektisches Leben führt, von früh bis spät zu Meetings hetzt und in fünf Minuten wieder zum Flughafen muss – wie schwierig ist es dann, ihm etwas wirklich Persönliches, etwas Wichtiges zu sagen? So gehen wir mit unserem Körper um. Wir sind Tag und Nacht geschäftig unterwegs. Der Körper hat gar nicht die Chance, uns zu sagen, was er braucht. Deshalb spüren wir Schmerzen oft erst, wenn wir uns einmal hinsetzen. In der Meditation kommen sie dann oft zutage.“

„Bei mir nicht. Ich schlafe nur ein beim Meditieren“, sage ich zerknirscht.

„Eben“, meint Jay. „Dein Körper sagt dir, dass er mehr Schlaf braucht. Du hörst sonst einfach nicht zu.“

Dharma, Baby!

Dass ein ehemaliger Mönch diesen durchaus weltlichen Pragmatismus ausstrahlt, dass er von Meetings und Fernbedienungen spricht, liegt an seiner Biografie. Jay Shetty ist in London aufgewachsen. Als Sohn einer indischen Familie hatte er – wie er gerne sagt – drei Optionen der Berufswahl: Arzt, Anwalt oder Versager. Jay entschied sich für das Dritte. Er ging auf eine Business School, studierte Verhaltensforschung, absolvierte Praktika in der Wirtschaft sowie Abende im Pub, bis er bei einem Gastvortrag des indischen Mönchs Gauranga Blut leckte. Als Kind zum Meditieren verdonnert, konnte er mit der traditionellen Praxis seiner Eltern nie viel anfangen, doch Gauranga schien irgendetwas richtig zu machen. „Ich hatte noch nie einen so glücklichen Menschen gesehen“, sagt Jay.

Klar war das attraktiv für einen 18-Jährigen, verheddert in den Klauen der eigenen Sinnsuche. Jay fackelte nicht lange: Seine Sommerferien verbrachte er fortan in einem indischen Ashram, einem klosterähnlichen Meditationszentrum. Nach dem Studienabschluss (denn was sein muss, muss sein) hängte er Business Suit und Smartphone erst einmal an den Nagel und zog mit Kutte und Schriftrollen aus, um Mönch zu werden. Drei Jahre lang dachte er, das wär’s, da gehör ich hin. Dann holte ihn sein Dharma ein. „Dharma“, erklärt Jay, „ist ein Sanskritwort, das sich nicht so gut übersetzen lässt. Es bedeutet so etwas Ähnliches wie ‚deine Berufung‘.

Wenn sich das, wofür dein Herz schlägt, also deine natürlichen Talente und Passionen, mit deiner Expertise und deinen Kenntnissen verbinden – und du all das für etwas einsetzen kannst, das wirklich nützlich ist und in der Welt gebraucht wird, dann lebst du dein Dharma. Das hat auch etwas mit dienen zu tun, mit dem Dienst am Nächsten. Wenn unsere Aufgaben nur unserem Ego dienen, werden wir nicht nachhaltig glücklich werden. Wenn wir aber etwas für andere, für die Gemeinschaft schaffen – und wenn das auch noch Spaß macht und wir gut darin sind –, dann folgen wir unserem Dharma. Das macht glücklich.“

„Und deines lag doch nicht im Mönchsleben?“, frage ich, obwohl ich die Antwort längst weiß: Man wird nicht vom „Forbes“-Magazin zu den 30 einflussreichsten Persönlichkeiten unter 30 Jahren gewählt, wenn man im Kloster am Boden sitzt und seinem Nabel Mantras vorsingt. Da muss also etwas passiert sein. In Jays Fall: Dharma, Baby!

Seinen Platz in der Welt finden

Das Schicksal klopfte an, als er für ein Referat vor Mönchskollegen mehr als den üblichen Höflichkeitsapplaus erntete. Die alten Lehren studieren – das war eine Sache. Aber sie alltagstauglich ins 21. Jahrhundert zu tragen und die Social Media Feeds der Generation YouTube häppchenweise mit Sinnsuche zu infiltrieren – das schien die lohnendere Aufgabe.

32 Millionen Follower weltweit finden das mittlerweile auch. Jays Idee, Weisheit(en) viral zu machen war offenbar etwas, was in der Welt gebraucht wurde. Dharma, denke ich, das will ich auch finden. Wie mach ich das? Ob ich Influencerin werden soll? Jay Shetty lacht. Er weiß, dass mir seine Antwort nicht so gefallen wird, aber: „Meditieren hilft“, sagt er. Es gebe da zwei Techniken, die sehr wohl etwas damit zu tun haben, wie man seine Tage mit Sinn füllt.

Die eine heißt „Den Garten deines Herzens pflegen“: „Weil es nämlich weniger darauf ankommt, was du tust, sondern welche Absicht dahintersteckt“, sagt Jay. „Schau dir einen Verkehrspolizisten an: Der kann dir ein Strafmandat fürs Rasen geben und daraus eine Machtdemonstration machen, oder er kann dir das Rasen liebevoll ausreden, weil er sich um dein Wohlergehen sorgt. Strafe zahlst du so oder so – aber die Absicht hinter der Handlung hat spürbare Auswirkungen. Auf dein Leben und auf seines.“

Er fährt fort: „Das mache ich immer in meiner Morgenmeditation: Unkraut jäten im Garten der Intentionen, einmal ordentlich durchputzen und nicht fragen: ‚Was tue ich heute?‘, sondern ‚Warum tue ich das?‘. Probier das aus. Du wirst sehen, wie viel glücklicher und sinnvoller dein Leben ist. Weil du es dann in den Dienst guter Absichten stellst. Und dienen – das ist ganz nah am Dharma.“ Und die zweite Technik? „Die hat auch mit Fragen zu tun. Aber da geht es nicht darum, die richtige Antwort zu finden, sondern die richtige Frage.“

„Hä?“, sage ich. Das ist auch eine Frage.

Womöglich nicht die richtige. „Schau“, sagt Jay Shetty, „wir sind so fixiert darauf, auf alles eine Antwort zu haben. Eine Fragenmeditation nimmt uns diesen Druck weg. Wir fangen mit einer Frage an, und dann schauen wir genauer hin. Wir stellen sie wieder und wieder und lassen zu, dass sie sich verändert. Nimm mal deine Frage ...“

„Soll ich eine YouTube-Influencerin werden?“

„Genau“, sagt Jay Shetty, „du stellst die Frage, und sie ändert sich. Zunächst einmal fällt dir auf: Du ‚sollst‘ oder ‚musst‘ gar nichts! Die Frage könnte sich ändern in ‚Wäre es gut für mich, YouTube-Influencerin zu werden?‘ und dann ‚Wenn ich YouTube- Influencerin werde – warum wäre das gut für mich?‘. Dieser Prozess erlaubt dir, immer näher an die Frage hinter der Frage heranzukommen. Es ist ein bisschen wie beim Coaching. Und du brauchst keine Antwort zu finden.“ – „Okay“, sage ich, „ich brauche schon deshalb keine Antwort, weil ich eh nicht YouTuber-Influencerin werden will. Aber sonst hätt ich schon gerne eine Antwort auf meine Fragen.“

„Die kommt. Irgendwann. Weil du dein Gehirn darauf einstellst, diese Frage als Priorität zu behandeln. Du machst das in der Früh, und dadurch wird der ganze Tag dein Lehrmeister. Alles, was dir begegnet, sind mögliche Puzzlesteine für deine Antwort. Ein Song im Radio. Ein Plakat. Etwas, was ein Kollege erzählt. Dein Kopf betrachtet alles durch den Filter der Fragestellung. Mach das ein paar Tage lang. Die Antwort kommt automatisch.“

Das gefällt mir. Wenn Meditieren nicht heißt, dass ich Atemzüge beobachten und Mantras singen muss, wenn ich nicht für alles eine Antwort wissen muss – dann könnte ich mich damit anfreunden. „Moment“, sagt Jay. „Mantra singen ist eine großartige Technik. Denn sie hilft, um ...“ Ich winke ab. Für heute hat er genug Überzeugungsarbeit geleistet. „20 Minuten?“, frage ich. „20 Minuten“, sagt er. „Das genügt schon. Und dann lass dich einfach überraschen, wie sich dein Leben ändert ...“