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„Wie gefällt dir Seoul?“, fragte Dennis, während er mein Haar Strähne für Strähne mit Wasserstoffperoxid einstrich und dann in Alufolie wickelte. Ich sah aus wie eine Verrückte, aber nach drei Monaten auf Reisen verlangten mein dunkler Ansatz und das aufkeimende Altersgrau nach ein paar Highlights. Und Dennis, der eigentlich nicht Dennis heißt, aber sein echter Name geht Nicht-Koreanern zu schwer über die Lippen, schien perfekt für den Job: Immerhin sprach er passables Englisch und wusste laut Internet-Bewertung mit nicht-asiatischem Haar und Blondierungswünschen umzugehen.

„Seoul? Ich weiß nicht“, seufzte ich.

„Zu laut?“, mutmaßte Dennis. Die Hauptstadt Südkoreas hat 10 Millionen Einwohner, ebenso viele Fressstände und an scheinbar jeder Straßenecke preisen perfekt geschminkte Verkäuferinnen neue Vlies-Gesichtsmasken mit Schneckenschleim oder Plazenta an, die einen, zumindest für die Dauer der Einwirkzeit, wie ein Brandopfer im Spital aussehen lassen.

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Seoul: Der ganz normale Straßenwahnsinn... (Foto: Waltraud Hable)

„Nein, eher zu leise“, sagte ich. Um mich dann in Rage zu reden. „Kein Mensch hier spricht mit mir, Dennis! Alles ist an verdammte Computer und Automaten ausgelagert. Sogar die Passkontrolleurin am Flughafen hat mich ignoriert und lediglich einen Knopf gedrückt, woraufhin mich eine Siri-artige Stimme anwies: Schauen Sie in die Kamera. Die Maschine sprach auf Deutsch mit mir!“

"Das ist doch ein netter Service“, meinte Dennis.

„Ja, aber was wenn bei euch in Südkorea der Strom ausfällt? Oder eine Hacker-Armada einen Angriff startet? Dann geht gar nichts mehr. Im Restaurant steht alles still, weil man nur per Automaten bestellen kann. Und in deine Wohnung kommst du auch nicht mehr, das Schloss funktioniert nämlich nur per elektronischem Code.“

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„Ich find’s praktisch, das mit den Automaten. Manchmal will man einfach nicht reden. Seoul ist hektisch, da ist man froh, wenn man einfach nur ein Knopf drücken muss.“– „Ich glaube, Seoul ist eine sehr einsame Stadt“, warf ich skeptisch ein.

Dennis widersprach nicht. Er wusste, mit Frauen in Aluhüten diskutiert man nicht, die umarmt man lieber. Es war eine nicht ernst gemeinte Umarmung, aber Dennis brachte mich damit wenigstens zum Lachen.

Woran es mir in Südkorea noch fehlte? Mülltonnen!

Und als ich grinsend und frisch blondiert zur U-Bahn marschierte, fiel mir ein, woran es mir in Südkorea noch fehlte: Mülltonnen! Die sind auf Seouls Straßen und U-Bahn-Stationen rar gesät. So rar, dass man seine leer getrunkenen Wasserflaschen oder Kaffeebecher oft den ganzen Tag mit durch die Stadt schleppt. Fuck. Meinen Eistee würde ich jetzt die nächsten Stunden nicht loswerden, weil ich Trottel vergessen hatte, die Flasche bei Dennis zu entsorgen.

Südkorea setzt auf Hardcore-Recycling. Plastik, Alu, Papier, Biomüll muss sortenrein getrennt werden – in speziell eingefärbten Plastiksäcken. Müllbeauftragte in jedem Wohnhaus kontrollieren, ob das Ganze auch eingehalten wird. Trennt man schlampig oder gar nicht, zahlt man Strafe. Was viele Koreaner dazu getrieben hat, ihren Hausmüll einfach in die öffentlichen Mülltonnen zu werfen. Als Gegenreaktion ließ die Stadt sämtliche Straßen-Mistkübel entfernen. Ein Räuber-und-Gendarm-Spiel mit leicht diktatorischen Anwandlungen. Aber seither funktioniert das mit der Abfallwirtschaft.

Zwar wurden auf öffentliche Beschwerde auf Straßen und in U-Bahn-Stationen ein paar tausend Mülltonnen wieder installiert – aber sie decken bei weitem nicht den Wegwerf-Bedarf unterwegs.

Foto: Waltraud Hable

Was mich täglich schwer in die Bredouille bringt hier. Jede Flasche Wasser – wohin damit? Will ich den klebrigen Eisbecher in meine Handtasche stopfen oder nicht? Seoul zwingt mich darüber nachzudenken, was ich kaufe – und vor allem zwingt es mich, darüber nachzudenken, was ich wirklich brauche, während mir marktschreierisch an jeder Straßenecke Handyhüllen, Hüte, Ohrringe und Cremen für die Schönheit angeboten werden.

Maskerade

„Und, wie viele Gesichtsmasken hast du schon gekauft?“, hat mich die beängstigend kluge Schwester, ein Seoul-Fan, neulich am Telefon gefragt. „Gar keine“, habe ich geseufzt. „Spinnst du, wieso nicht? Du liebst doch das ganze Beauty-Zeug.“ – „Die Vielfalt überfordert mich, alleine für Anti-Aging finden sich in einem Regal 40 verschiedene Masken, ich hab keinen Dunst, was davon halbwegs brauchbar wäre“, gab ich zurück. „Diese Flut an Dingen bringt mich dazu, am Ende gar nichts mehr kaufen zu wollen.“

Zero-Waste auf die harte Tour, quasi. Und wahrscheinlich auch sicherer für Leib und Leben. Der Hausmüll-Kontrolleur der angemieteten Wohnung hat mich schon am Kieker, weil ich einen Joghurtbecher zum Plastikflaschen-Müll gegeben habe. Ich fürchte, wenn ich ihm auch noch eine gebrauchte Gesichtsmaske im falschen Plastiksack unterjuble, haut er mich hochkant raus.
Weiter nach Maui, Hawaii

Ich mit der einzigen Vlies-Gesichtsmaske, die ich geshoppt habe. Sieht nach Brandopfer aus. Auflegen habe ich sie mir erst in den USA, meinem neuen Stopp getraut. Hier ist das Teil auch leichter zu entsorgen. (Foto: Waltraud Hable)