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Ob Erbse, Apfel oder Chiasamen: Es sind nicht nur die Inhaltsstoffe, die unsere Nahrung zu echtem Superfood machen. „Wo kommt’s her, wie schmeckt’s, was ist drin?“ Für Dr. Jürgen König, Universitätsprofessor für Spezielle Humanernährung, lässt sich mit diesen drei Fragen bestimmen, wie super unser Food ist.

Herr Dr. König, was ist ein Superfood?
„Dr. Jürgen König: Wenn Sie darunter ein Nahrungsmittel verstehen, das den gesamten Nährstoffbedarf abdeckt, vor Krankheiten schützt und sich individu­ellen Bedürfnissen anpasst, fällt mir nur ein einziges ein: Muttermilch. Sie kann einem Baby alles liefern, was es braucht.“

Was könnte ich denn sonst noch darunter verstehen?
„Ein Nahrungsmittel, das Sie bei regel­mäßigem Konsum wie ein Medikament heilt – so etwas gibt’s nicht. Aber ein möglichst naturbelassenes Nahrungs­mittel, das Ihnen schmeckt, überdurch­schnittlich viele gesundheitsfördernde Substanzen enthält und Ihren Speiseplan vielfältig macht – da fallen mir viele ein: Erbsen etwa, Himbeeren, Leinsamen und Sanddorn.“

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Welche Substanzen sind denn das?
„Vitamine und Mineralstoffe, also Mikro­nährstoffe. Außerdem Ballaststoffe, Pro­teine und sekundäre Pflanzenstoffe wie Polyphenole. Letztgenannte sind in prak­tisch allen roten bis blauschwarzen Ge­müsearten und Früchten enthalten.“

Was tun sie meinem Körper Gutes?
„Man sagt ihnen unter anderem großes antioxidatives Potenzial nach, also eine positive Wirkung aufs Immunsystem.“

Großartig. Wenn ich ab sofort also besonders viele Himbeeren esse, stehen meine Chancen gut, gesund zu bleiben?
„Das ist Wunschdenken. So einfach ist das leider nicht. Man kann nicht durch den Konsum eines einzelnen Lebensmit­tels gesund werden oder bleiben. Es gibt keine gesunden oder ungesunden Le­bensmittel, es gibt nur gesunde oder un­gesunde Ernährungsweisen. ‚Superfood‘ ist nicht ein einzelnes Nahrungsmittel, ‚Superfood‘ ist ein Gesamtkonzept.“

Okay. Damit Superfood wirklich super ist, soll es schmecken und Abwechslung bieten. Was noch?
„Es geht immer auch um die Herkunft. Wie weit war der Weg bis auf meinen Teller? Wie wurde produziert? Wer profitiert davon? Und wenn die Wunderwuzziwirkung besonders betont wird, können Sie sich schon die Frage stellen: Gibt’s überhaupt einen wissenschaftlichen Nachweis über die positiven Effekte dieser Substanzen in meinem Körper?“

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Wie meinen Sie das? Liegt die positive Wirkung nicht in der Natur der Sache?
”Nein! Der Begriff ist viel zu schwammig. Das Wort ‚Superfood‘ ist ja nicht geschützt, es gibt weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene eine gesetzliche Definition. Oft sind solche Rückschlüsse auf eine gesundheitliche Bedeutung für den Menschen gar nicht möglich. Ein Beispiel sind die vorhin genannten sekundären Pflanzenstoffe. Ihre positive Wirkung konnte bisher nur im Labor nachgewiesen werden. Der Mensch ist aber kein Reagenzglas.“

Dass Vitamine meiner Gesundheit förderlich sind, ist aber schon bewiesen, oder?
„Ja, das kann ich Ihnen garantieren."

Wenn das so ist: Wo liegt dann der Unterschied zwischen einem Superfood und gewöhnlichem Obst und Gemüse?
„Es gibt keinen. Saisonales Obst und Gemüse ist heimisches Superfood.“

Aber warum denken wir beim Wort „Superfood“ oft ganz automatisch an exotische Lebensmittel wie Açai- und Goji-Beeren, Quinoa und Chiasamen?
„Wenn ich das wüsste! Geht man rein nach den Inhaltsstoffen, stehen sie natürlich sehr gut da. Aber wir haben für fast alles großartige heimische Äquivalente. Leinsamen können das Gleiche wie Chiasamen. Sanddorn hat mindestens so viel Vitamin C wie Acerola, und Hagebutten zählen zu den Lebensmitteln mit dem höchsten Vitamin-C-Gehalt überhaupt. Das Entscheidende: Handelt es sich um heimisches Superfood muss ich keine langen Transportwege in Kauf nehmen – oder die Gefahr problematischer Herstellungsbedingungen und Schadstoffbelastungen. Thema sind auch Nährstoffverluste durch Lagerung und Transport oder der Energieaufwand für die Kühlung.“

Warum greifen dann viele, die sich in Sachen Ernährung ein ganz besonderes Bewusstsein an die Fahnen heften, zu diesen Exoten?
„Das frage ich mich auch. Wenn man sich mit einer Ernährungsweise anfreundet, die ökologisch möglichst einwandfrei produziert, ist es schon schwierig, diese fremdländischen Superfoods zu kaufen. Diese Frage kann man sich aber bei allen Lebensmitteln stellen, die mit einem prallen CO2-Rucksack von weit her kommen, von der Banane bis zum Kaffee.“

Was ist Ihnen persönlich in Hinsicht auf die Ernährung am allerwichtigsten?
„Dass sie vielfältig und ausgewogen ist. Für mich gilt: Egal wie viel regionales, saisonales Obst und Gemüse ich bereits esse, ich versuche immer, noch ein bisschen mehr davon zu essen.“

Was ist Ihr Lieblingsobst?
„In Marillen und Nektarinen könnte ich mich reinlegen. Toll ist auch der Apfel! Es gibt ihn in so vielen Variationen und Geschmacksrichtungen, das bereichert den Speiseplan enorm. Er hat kaum Kalorien, liefert dafür Vitamine und Mineralstoffe wie Kalium und Magnesium. Und dank unterschiedlicher Erntezeitpunkte und guter Lagerfähigkeit ist er fast ganzjährig regional verfügbar. Besser geht’s kaum!

Welches heimische Superfood landet sonst noch auf Ihrem Teller?
„Ganz klar Hülsenfrüchte. Erbsen, Linsen und Bohnen. An Hülsenfrüchten kann ich mich nicht sattessen. Ich mag sie in jeder Form, von Erbsensuppe bis zu Specklinsen. Schade, dass Hülsenfrüchte im regulären Konsum immer vernachlässigt werden, dabei schmecken sie großartig und haben tolle Inhaltsstoffe: Hülsenfrüchte strotzen vor Ballaststoffen und Spurenelementen. Sie sind Eiweißbomben, arm an Fetten und Kohlenhydraten. Deshalb mischen sie auch in der fleischlosen Ernährung vorne mit. Einziger Nachteil, der mir einfällt: Manche vertragen sie nicht und kriegen davon Blähungen. Bitte einfach essen, der Darm gewöhnt sich schnell daran!“

Sie haben auch Leinsamen genannt.
„Ja, Leinsamen sind ein tolles heimisches Superfood wegen ihrer Ballaststoffe. Mit Wasser angesetzt, bekommen sie eine schleimige Konsistenz. Die ist zugegebenermaßen nicht besonders sexy, so lassen sie sich aber gut ins Müsli mischen. Und: Leinsamenöl liefert die wertvollen Omega-3-Fettsäuren. Ich versuche auch, mehr Vollkorngetreide zu essen. Weil da im Gegensatz zu Weißmehl das volle Korn genutzt wird, gibt’s auch die volle Dosis Vitamine und Mineralstoffe. Mir schmeckt Vollkornbrot nur leider nicht besonders, darum behelfe ich mir mit Getreidekörnern im Eintopf und Haferflocken zum Frühstück.“

Sind die Klassiker unserer Kindheit, Spinat und Nüsse, noch im Rennen für heimisches Superfood?
„Auf jeden Fall! Und das, obwohl beide zwischendurch verteufelt worden sind: der Spinat wegen des hohen Nitratge­halts, von dem man früher gedacht hat, er sei krebserregend. Spinat enthält sehr viel Eisen, die Vitamine A und K sowie Folsäure. Und für Nüsse gilt: Ja, sie sind fettreich, das sind aber sehr gute Fette. Man sollte es nur nicht übertreiben, eine Handvoll Nüsse am Tag reicht. Und die idealerweise ungesalzen.“

Bleibt Superfood, egal ob heimisches oder nicht, immer Superfood, auch wenn es bis zur Unkenntlichkeit verarbeitet ist?
„Nehmen wir Açai­beeren: Keiner kann fünf Kilo davon essen, nur damit mög­lichst viele sekundäre Pflanzenstoffe in den Körper gelangen, von denen er viel­leicht einen Nutzen hat. Also werden sie meist getrocknet, als Püree, Extrakt, in Kapsel­ oder Pulverform angeboten. Das sind dann aber keine Nahrungsmittel mehr, sondern Nahrungsergänzungs­mittel. Die Idee dahinter ist nachvoll­ziehbar, die Wirksamkeit aber trotzdem nicht erwiesen. Außerdem ist es immer besser, das komplette Lebensmittel zu verzehren, als einzelne Komponenten zu isolieren. Dabei können ja andere wich­tige Substanzen verloren gehen. Und vor allem der Geschmack!“

Apropos Geschmack: Was essen Sie, nur weil Sie nicht widerstehen können?
„Ich bin kein Süßer. Aber ich liebe Käse, wenn er Zimmertemperatur hat. Und Knollensellerie, den verarbeite ich quasi in jeder Sauce. Ich esse vieles gerne, wenn die Qualität stimmt. Heimisches Superfood hin oder her: Es ist immer wichtig, als Konsument kritisch zu sein, aber nicht überkritisch. Lebensmittel, die in Österreich auf den Markt kommen, müssen hohe Standards erfüllen. Wir haben sehr strenge Grenz­werte und ein dichtes Kontrollnetz. Wer noch mehr Sicherheit will, kann beim Kauf auch auf Biogütesiegel oder andere Labels wie Fairtrade achten.“

Werfen wir doch mal einen Blick auf den Esstisch der Zukunft. Was gibt’s da?
„Ein ganz spannendes Thema sind Algen. In Asien spielen sie eine große Rolle in der Versorgung, wir kennen sie eigent­lich nur als Maki­blatt. Algen sind eine elegante Methode, Omega­3­Fettsäuren und Jod aufzunehmen, ohne dafür Fisch essen zu müssen. Die Frage ist nur: Wie kann man sie in eine Form bringen, die für unsere Ernährungsgewohnheiten attraktiv ist? Und: Algen reichern ger­ne Schwermetalle an, die ökologischen Bedingungen ihres Anbaus könnten also eine Herausforderung werden. Auch To­fu und wie gesagt Hülsenfrüchte werden immer interessanter. Nudeln auf Erbsen­ oder Sojabasis sind nicht nur für Vege­tarier und Veganer eine tolle pflanzliche Eiweißquelle.“

Was tun Sie, wenn Sie nach dem Essen von der Müdigkeit übermannt werden?
„Dann trinke ich einen Kaffee.“

Und um schlechte Laune zu vertreiben?
„Dann mache ich Sport. Am besten schon im Vorfeld und am liebsten auf dem Rad.“

Ernährung und Bewegung haben für Sie also große Bedeutung. Was gehört sonst noch zu einem guten Leben?
„Da halte ich es mit einem Zitat aus der Operette ‚Die Fledermaus‘: ‚Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist.‘ Ich versuche meinen Feh­lern nicht allzu lange nachzuhängen. Zu einem guten Leben gehört auch der Genuss. Ich will mir die Fähigkeit er­halten, das Besondere auch im Über­fluss zu erkennen und zu schätzen.“

Ernährungsexperte Dr. König im Interview

Bild: Philipp Schönauer