In Partnerschaft mit

Irgendwann während der Stunde meiner Entspannungsübung im Wasser hatte die Stunde nie begonnen und würde nie auf hören. Irgendwann war Andrea zu Wasser geworden und das Wasser zu Andrea. Irgendwann fand ich mich – 87 Kilo, 1,84 Meter – in die Arme einer fremden Frau gekuschelt wie ein kleines Kind, ließ mich halten und drehen und fallen und treiben und durchs körperwarme Thermalwasser ziehen und schaukeln, und nichts hätte anders sein sollen. Irgendwann hatte ich Spaß daran gefunden, mein Inneres beim Entspannen zu beobachten, die Füße, die Finger, den Nacken, ich spürte in mein Entspannen hinein. Irgendwann, glaube ich, war sogar die strenge senkrechte Falte zwischen meinen Augen verschwunden. Normalerweise bin ich gar nicht so.

Ich gehe Dinge eher von der Kontrollseite an. Wasser-Shiatsu ist keine chinesische und japanische Tradition wie Shiatsu, sondern stammt aus Amerika und hat relativ wenig Tradition: Der Dichter und Shiatsu-Meister Harold Dull übersiedelte die 1.500 Jahre alte Behandlungsmethode erst 1980 ins körperwarme Wasser. Dulls Erfindung ist weltweit unter dem Namen Watsu geschützt und darf nur von entsprechend ausgebildeten Praktizierenden ausgeübt werden. (Was Sinn ergibt, weil Watsu, auch wenn es so dahinplätschernd anmutet, mächtig wirken kann.)

Das Angebot dieser Art von Entspannungsübung ist in Österreich, Deutschland und der Schweiz flächendeckend. Ich durfte Watsu im Ruhebecken der Therme Wien in Oberlaa probieren, wo das Ganze auch noch etwas ziemlich Mondänes hat: Der großzügige Bereich wird für die Watsu-Einheiten abgesperrt.

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Praktizierender (bei mir war es wie in den meisten Fällen eine Praktizierende) und Klient lernen einander im trockenen Vorraum kennen. Es werden die üblichen Fragen zu allgemeinem Gesundheitszustand (Neigung zu Drehschwindel?) und dem Verhältnis zum Wasser (Phobie?) gestellt, ob man Wasser in den Ohren okay findet (dann braucht man keine Stöpsel; ist übrigens zu empfehlen, siehe später) oder nicht (bedeutet Stöpsel; dämpfen alles ein wenig, geht auch).

Im Wasser wird, bevor die Entspannungsübung startet, ein wenig gemeinsam geatmet, um sich aufeinander einzugrooven, dann legt sich der Klient waagrecht ins Wasser und hat ab nun für knapp 60 Minuten die Aufgabe, nichts zu tun. Je intensiver und je umfassender er nichts tut, desto besser. Sie selbst, sagt Andrea Patocka, Wienerin, seit vierzehn Jahren Watsu-Praktizierende, tue ja auch nicht viel. Im Watsu passiere das meiste intuitiv, sagt sie. Kraft einzusetzen wäre ganz verkehrt, alles soll ja fließen. Und überhaupt ist man beim Watsu ohnehin zu dritt: Klient, Prak­tizierender und Wasser arbeiten zusam­men, und der Chef ist das Wasser.

Der Effekt dieses allgemeinen Flie­ßens ist schon in der Theorie eindrucksvoll. Watsu verspricht, Blockaden in den sogenannten Chakren zu lösen, Energien in Körper, Geist und Seele in Fluss zu bringen; und weil ja alles im Leben bes­ser wird, wenn die Energie fließt, gibt es kaum Grenzen im Einsatzbereich der Methode: Andrea Patocka arbeitet mit Kindern und Senioren, Topmanagern, Behinderten und Traumatisierten, sie hilft Menschen beim Entspannen zwi­schendurch und bei der Bewältigung ernsthafter körperlicher, geistiger und seelischer Angelegenheiten.

Vor dem Nichtstun können steht beim Neuling eine Hürde: Den Kopf auf Anhieb locker zu lassen – also von den Schul­tern aufwärts, inklusive Kiefergelenk und dem Bereich zwischen den Augenbrauen –, schafft keiner. Andrea sagt zwar in der Vorbesprechung, dass ihr deine Nase und dein Mund niemals gleichzeitig unters Wasser rutschen werden und dass du dich darauf verlassen kannst, aber wenn dein Gesicht grad mal ein paar Millimeter überm Plätschern und Gurgeln dahin­ segelt, übernimmst du zuerst einmal in­tuitiv lieber selber das Kommando.

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Du erkennst nach ein paar Minuten, dass das Blödsinn ist, und schaffst es dann auch gleich, es sein zu lassen und kannst die Entspannungsübung wirken lassen. Das gelingt dir auch deswegen, weil Andrea so sanft und präzise in deinen Nacken, an deinen Hin­terkopf, deine Ohren und Wangen greift, dass sogar deine Intuition kapiert: Angst zu haben wäre nicht nur unnötig, sondern sogar respektlos. Andrea verschwimmt dann in deiner Wahrnehmung auch schnell mit dem Wasser. Sie greift dich am Kopf, an den Schultern, an den Armen, Händen, am Rücken so an, als wäre sie eine Welle, eine Strömung. Andrea beherrscht die Situation so souverän, dass die Situa­tion nicht einmal ein Beherrscht werden braucht.

Sobald du das kapiert hast, tauchst du richtig ins Fallenlassen ab und kannst die Entspannungsübung in vollen Zügen genießen. Das ist der Moment, ab dem sich dir die Welt des Wasser-­Shiatsu in einer neuen Dimensi­on erschließt, im übertragenen und hand­festen Sinn, denn du entspannst ja nicht nur in zwei Dimensionen, wie auf einer Matte oder einem Massagetisch, sondern eben in drei. Und ja, das hat irgendwie vom Gefühl her schon auch etwas davon, wie man sich die Geborgenheit des Mut­terbauchs vorstellt. Du beginnst Freude daran zu haben, dich selbst beim Entspannen zu beobachten. Zum Beispiel wenn Andrea deinen rechten Arm lockert und sozusagen dem Wasser überlässt, entdeckst du ein leich­tes Ziehen in der Schulter, wie ein letz­tes Festhalten, das dich zuerst erstaunt, dann ein wenig ärgert, dann willst du der Schulter das Loslassen anweisen. Und als sie das nicht macht, ist das auch egal.

Andrea redet kein Wort (Summt sie manchmal ein paar Takte? Oder bildest du dir das nur ein?), du selber natürlich auch nicht, es ist ja niemand da außer euch beiden, aber du hörst in der Stil­le unglaublich viel: Das zischende und gurgelnde Plätschern des Wassers über der Oberfläche, das Rauschen darunter; irgendwann kommst du drauf, unter Wasser klingt es wie ein Schnürlregen­tag, an dem es schon von den Dachrinnen tropft. Du möchtest dir das eigentlich merken, weil sich „Schnürlregentag, an dem es schon von den Dachrinnen tropft“ in einem Text über Wasser­-Shiatsu vom lyrischen Standpunkt her gut macht, aber deine Lust aufs Nichtstun gewinnt über­hand über die Lust aufs Merken, und du denkst dir: Scheiß auf den Schnürlregen­tag, ich lass mich jetzt gehen.