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Herr Buether, Männer und Frauen nehmen Farben unterschiedlich wahr. Ist Ihr Grün, Blau oder Rot anders als meines?

„Ja und nein. Prinzipiell ist das menschliche Auge in der Lage, mehr als zwanzig Millionen Farben zu unterscheiden, aber Farbwahrnehmung ist letztlich eine Sache der Übung. Während ein Mann möglicherweise nur sieht: ‚Diese Augen sind blau’, können Frauen besser differenzieren und etwa ‚wässriges Blau mit etwas Grau’ erkennen.“

Was ist der Grund dafür?

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„Farben sind das größte Kommunikationsmedium der Erde und in ihrer biologischen Funktion dazu da, das Verhalten von Pflanzen, Tieren und Menschen zu steuern. Viele Studien haben gezeigt, dass Frauen von Natur aus kommunikativer und sozialer eingestellt sind, deshalb beobachten sie meist auch mehr und können zwischen Farbcodes ihrer Umwelt besser differenzieren, sie nehmen die Vielfalt der Nuancen besser wahr. Sehr wahrscheinlich haben Frauen deshalb auch die bessere genetische Ausstattung erworben. Während rund acht bis neun Prozent aller Männer eine Rot-Grün-Sehschwäche aufweisen, kommt diese bei Frauen fast gar nicht vor.“

Unabhängig vom Geschlecht gilt Blau als Lieblingsfarbe weltweit. Wenn dem so ist, warum tragen wir dann nicht alle Blau?

„Weil wir in Befragungen nur angeben, wie wir uns gerne sehen, aber nicht, was uns am besten gefällt. Blau, die Farbe des Himmels und des Wassers, steht für Eigenschaften, mit denen wir uns gerne schmücken: Freiheit, Frieden, Offenheit, es steht aber auch für Wahrhaftigkeit; Qualitätsmedien sind oft in Blau gehalten. Wenn man also sagt: ‚Blau ist meine Lieblingsfarbe’, macht uns das sozial attraktiv.“

Grün ist zum Beispiel für jeden mit einem anderen Spektrum von Erfahrungen verknüpft.

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Was bestimmt aber dann, was ich kaufe?

„Unter anderem die Farbpräferenz. Diese wird von Faktoren wie Intuition, Charakter, Wertvorstellungen und Erlebnissen beeinflusst. Grün ist zum Beispiel für jeden mit einem anderen Spektrum von Erfahrungen verknüpft – durch Essen, das wir probieren, durch Gegenstände, die wir sehen, durch Reaktionen aus dem Umfeld. Genauso hat Farbpräferenz aber auch mit aktuellen Gesellschaftsthemen zu tun. Durch den Klimawandel sind heute mehr Farben im Einsatz, die ‚gesund’, ‚ökologisch’ oder ‚nachhaltig’ aussehen, zum Beispiel gedecktes Grün, Blau, Erdfarben. Und das gesellschaftliche Milieu spielt ebenso eine Rolle. Im Universitätsbetrieb kann man das bei beginnenden Kunst- und Architekturstudenten gut beobachten: Anfangs ist ihre Kleidung noch in den unterschiedlichsten Farben gehalten, aber schon im ersten Semester „entfärben“ sie sich, um sich anzupassen.“

Ändert sich unser Farbgeschmack im Laufe des Lebens? Man hat das Gefühl, bei älteren Semestern dominiert vor allem Beige und Grau …

„Ja. Der persönliche Farbgeschmack verändert sich, weil Farbe ein Ausdruck dafür ist, wie wir uns im Inneren fühlen. Jeder kennt das: Wenn man schlecht drauf ist, fühlt sich der gelbe Pulli irgendwie nicht richtig an. Wir wählen intuitiv Sachen, die zu unserem Gemütszustand passen. Bei Menschen, die in Richtung Depression abkippen, kann man häufig mitverfolgen, wie sich ihre Social-Media-Kanäle verändern. Erscheint einem alles im Leben grau und trist, beginnt sich das auch in den Fotos widerzuspiegeln … Und was ältere Menschen betrifft: Grau und Beige sind gute Tarnfarben, die beschreiben, was viele in dieser Lebensphase empfinden. Man nimmt sich zurück, wird ruhiger, fühlt sich vielleicht nicht mehr so attraktiv. Aber zum Glück sieht man mittlerweile viel mehr Farben bei Senioren – auch weil sie länger aktiv sind.“

Es heißt, Farben wirken auf uns, auch wenn wir die Augen geschlossen halten?

„Ja, denn Farben sind der Stoff unserer Lebenswirklichkeit. Bei geschlossenen Augen erwecken Farben unsere innere Welt, sie beleben unsere Gedanken, Vorstellungen und Träume.“

Bei geschlossenen Augen erwecken Farben unsere innere Welt, sie beleben unsere Gedanken, Vorstellungen und Träume.

Und bei geöffneten Augen – welche Signale senden Farben ans Gehirn?

„Dazu muss man wissen: Nicht nur die Rezeptoren der Haut messen ständig die Temperatur, auch die Farbrezeptoren unserer Augen sind daran beteiligt – sie registrieren ständig die Farbtemperatur des Umgebungslichts und stellen unseren Stoffwechsel darauf ein. Wir empfinden helle Wände oder kaltes Licht als ‚kühler’. Studien haben etwa gezeigt: Bei kalten, bläulichen Raumfarben und sehr hellem, weißem Licht erzielt man bessere Ergebnisse bei Rechenaufgaben und macht auch weniger Rechtschreibfehler.“

Hellblaue oder weiße Klassenzimmer sind also gut für Prüfungen?

„Ja, weil man in einer kühlen Atmosphäre ‚wacher’ ist und sich besser konzentrieren kann. Aber ständig in solchen Räumen zu sitzen kann wiederum Hyperaktivität auslösen. Wir brauchen den Wechsel. Das ist in uns Menschen drin, weil sich ja auch im Laufe des Tages die Farben und das Licht verändern. Farbe ist ein Wirkstoff für unsere Psyche – und wie bei einem Medikament kommt es auf die richtige Dosis an.“

Apropos Wirkstoff. Sie haben eine Studie begleitet, bei der auf einer Krankenstation der Neuroleptikaverbrauch um dreißig Prozent gesenkt werden konnte. Welche Wand farben wurden da benutzt?

„Auf besagter Station war vorher alles weiß. Um eine behagliche Atmosphäre zu schaffen, kamen unterschiedliche Erdfarben, Sandund Lehmtöne, aber auch getrübte Grün- und Blautöne zum Einsatz. Wir haben eine Atmosphäre geschaffen wie bei einem sonnigen Herbstspaziergang. Auch das Licht stellten wir auf eine Farbtemperatur von 3.500 Kelvin um, das entspricht in etwa später Nachmittagssonne. Dieses wärmere Licht lässt den Teint besser aussehen, Ärzte wirkten menschlicher, die Patienten fühlten sich besser umsorgt, obwohl die Pflege die gleiche war.“

Nachdem Schlaf als Basis für die Gesundheit gilt: Welche Farbe würden Sie fürs Schlafzimmer empfehlen?

„Eher dunkle Töne. Man sollte vorab klären: Nutze ich den Raum rein zum Schlafen oder auch als Aufenthaltsraum, zum Lesen oder Fernsehen? Und: Wie warm oder kalt habe ich es nachts gerne? Mag ich es eher kühl, lässt sich die gefühlte Zimmertemperatur mit einem Blauton ‚runterfahren’ – doch dieser sollte einen Grauanteil haben, denn reine Farben wirken zu aktivierend. Mit einem hellen Fliederton wirkt das Schlafzimmer hingegen sanft und behaglich. Wer es gern sehr warm und beruhigend mag, ist mit einem dunklen Violett gut beraten.“

Schwarz schafft Distanz, es lässt uns unnahbar wirken.

Und welche Farben sind für die Karriere gut? Sie raten von Schwarz für Bewerbungsgespräche ab.

„Viele glauben: ‚Schwarz ist neutral, das geht immer’. Aber Schwarz ist genauso wenig neutral wie Weiß oder Beige. Jede Farbe hat eine Aussage. Schwarz schafft Distanz, es lässt uns unnahbar wirken. Daher rate ich davon ab – außer, man will damit gezielt Eigenschaften wie beispielsweise Autorität, Durchsetzungskraft, Ordnungsliebe, Struktur unterstreichen.“

Welches Klischee über Farben würden Sie gerne abschaffen?

„Dass die wunderbare Palette der menschlichen Hautfarben noch immer zu Diskriminierung führt, ist grauenhaft und nicht zu entschuldigen. Jede Pigmentierung trägt zum Reichtum unserer Welt bei. Man muss sich nur umschauen, die schönsten Lebensräume dieser Welt sind knallbunt: Korallenriffe, tropische Regenwälder. Und sie sind nur deshalb bunt, weil dort viele Arten auf engem Raum zusammenleben und über Farben kommunizieren. Diktaturen wirken stets grau, eintönig und uniform. In offenen, vielfältigen und toleranten Gesellschaften hingegen haben alle Farben des Spektrums ihren Platz.“

gelber schmaler Balken, oranger breiter Balken

Die geheimnisvolle Macht der Farben

Deine Augen sehen die Welt in 20 Millionen Farbnuancen – und das nicht nur, weil in Bunt alles hübscher wirkt. Farben sind das größte Kommunikationsnetzwerk der Welt: Sie sind Wegweiser und lösen Emotionen aus. Weiterlesen...

Prof. Dr. Axel Buether ist Experte für visuelle Kommunikation und leitet das Institut für Farbpsychologie an der Bergischen Universität Wuppertal. Sein Buch „Die geheimnisvolle Macht der Farben“ erklärt, wie Farben unser Verhalten und Empfinden beeinflussen (Droemer).