In Partnerschaft mit

„Wunderwerk Frau. Warum das ‚schwache‘ Geschlecht das wahrhaft starke ist“ lautet der Titel Ihres Buches, Herr Prof. Huber. Sie sind davon überzeugt, dass Frauen Männern aus biologischer Sicht klar über­ legen sind. Warum ist das so?

Prof. Johannes Huber: Weil der weibliche Körper eine Großleistung der Evolution ist. Ich glaube, mit mehr Empathie hat sich Mutter Natur weder vorher noch nachher in das Gästebuch der Evolution eingeschrieben. Die Frau ist voller Myste­rien – und als Gynäkologe bin ich natür­lich ein großer Fan davon.

Ist das Buch ein Resümee Ihrer jahrzehntelangen Arbeit, die sich mit diesen weiblichen Mysterien beschäftigt hat?

Man könnte fast sagen, es ist eine Gynäkosophie, eine Weisheitslehre vom weibli­chen Körper.

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In den sieben Kapiteln beantworten Sie Fragen wie „Warum leben Frauen länger als Männer?“ oder „Was hat es zu bedeuten, dass Frauen mehr Gene haben?“. Dafür reisen Sie 230 Millionen Jahre zurück in die Vergangenheit. Was ist damals passiert?

Na ja, damals hat sich die Zweigeschlecht­lichkeit mehr oder weniger ausgebildet. Eine phänomenale Sache, die in erster Li­nie natürlich der Erhaltung der Art dient und durch die dieses Wunderwerk eben geschaffen wurde. Damals hat sich Mut­ter Natur dazu viele Gedanken gemacht. Nehmen wir einmal Fische her, wie die sich vermehren: Sie legen irgendwo einen Laich ab und geben den männlichen Artgenossen die Möglichkeit, praktisch im Vorbeigleiten eine Spermawolke dort zu deponieren. Also unerotischer kann das große Werk der Fortpflanzung nicht stattfinden.

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Und da hat sich Mutter Natur gedacht: „So nicht mehr, das machen wir von jetzt an anders ...“

Genau. Sie hat gesagt: Wir werden die Weitergabe des Lebens von außen in das Innere eines anderen Lebewesens legen. Und dieses andere Lebewesen sollte spä­ter den Namen Eva bekommen. Eva, die Frau. Damit war ein neues Erdzeitalter angebrochen, das des Mammäozäns oder, wie wir sagen, der endokrinologischen Innenpolitik. Und das hat alles verändert.

„Der weibliche Körper ist eine empathische Großleistung der Evolution.“

Univ.-Prof. DDr. Johannes Huber, Wiener Gynäkologe

Inwiefern hat das alles verändert? Weil die Frau für diese Mammut­aufgabe mit besonderen, sagen wir, Gadgets ausgestattet wurde?

Ja. Die Evolution hat die Frau privilegiert. Allein die Tatsache, dass der weibliche Körper neun Monate lang ein anderes Lebewesen ernähren muss. Beim Men­schen bedarf das ungefähr 140.000 zu­sätzlicher Kilokalorien – das muss ja orga­nisiert werden.

Wie und wo genau hat dieses „Upgrade“ stattgefunden?

Nehmen wir zum Beispiel das Herz: Das Herz der Frau muss während der Schwan­gerschaft für zwei schlagen, nämlich für sich selbst und für das Kind – ein völlig neues Herz­-Kreislauf-­System war also not­wendig. Und das alles hat Mutter Natur in den weiblichen Körper hineingesteckt, im Unterschied zum männlichen. Das und vieles mehr begründet den geschlechts­spezifischen Unterschied, den ich als Gynäkologe niemals kleinreden würde. Ihn zu relativieren, geht immer auf Kosten des weiblichen Körpers.

Frauen leben auch länger als Männer – woran liegt das?

Das hat viele Ursachen, wobei es eigentlich paradox erscheint. Die Frau ist es, die die Kinder zur Welt bringt, die sie aufzieht und die obendrein den Mann ertragen muss – was ja auch oft lebens­verkürzend ist. Aber trotz allem lebt sie länger. Und das hängt mit den Privilegi­en des besseren Herz-­Kreislauf­-Systems, dem besseren Cholesterinspiegel vor der Menopause und einem normaleren Blut­druck zusammen.

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Ein spannendes Thema sind auch Viren sowie ihre bedeutende Rolle in der Evolution. Wie können wir uns das vorstellen?

Etwa die Entstehung des Mutterkuchens, der Plazenta. Das ist ein Gebilde, mit dem das Kind ein bisschen in den Körper der Mutter hineinwächst – und durch das Hineinwachsen eine Verbindung mit dem Kreislaufsystem der Mutter darstellt – von dort Nahrung holt und wieder etwas, was es nicht braucht, deponiert und ent­sorgt. Und dieses Hineinwachsen, das ist durch ein Virus entstanden. Die Plazen­ta ist also tatsächlich so etwas wie eine Krebsgeschwulst, die durch ein Virus in­duziert wurde.

„Ohne den Beitrag von Viren wäre die Evolution nicht möglich gewesen.“

Univ.-Prof. DDr. Johannes Huber, Wiener Gynäkologe

Eine faszinierende, aber auch etwas beängstigende Vorstellung: der Mutterkuchen als Krebsgeschwulst ...

Ja, faszinierend, weil diese Geschwulst dann ja auch nicht ununterbrochen wächst wie normaler Krebs, sondern irgendwann aufhört. Und nach der Geburt wird sie dann vom weiblichen Körper entsorgt. Aber sie war ursprünglich die Voraus­setzung für die enge Vernetzung von Mut­ter und Kind.

Welchen Meilenstein verdanken wir den Viren sonst noch?

So wie es aussieht, das menschliche Ge­hirn. Diese explosionsartige Erweiterung der Großhirnrinde ist durch eine Gen­veränderung entstanden, die man heute sehr gut kennt und bei der vermutet wird, dass Viren dabei eine Rolle spielen. Be­sonders interessant ist, dass das im weib­lichen Körper zum allerersten Mal passiert ist und dann von der Mutter immer in den Mitochondrien weitergegeben wurde. Die Mitochondrien – das sind quasi die Kraft­werke unserer Zellen, die die Lebens­energie erzeugen – werden ja nur von den Müttern vererbt. Das bedeutet wiederum, dass eigentlich nicht Adam, sondern Eva der erste Mensch war.

Haben Viren also zu Unrecht ein so schlechtes Image?

Na ja, eines ist klar: Die Evolution wäre nicht möglich geworden, hätten nicht Viren ihren Beitrag geleistet. Irgendwie erinnert es mich fast an das Östrogen, das auch eine so schlechte Beleuchtung hat, in Wirklichkeit aber viel differenzierter gesehen werden muss.

Das Östrogen und Hormone prinzipiell behandeln Sie im Buch ja ausführlich. Da heißt es etwa, der weibliche Körper sei mit seinem komplexen Hormon­system vergleichbar mit einer Uhr, mit dem Uhrwerk eines sehr begabten Schweizer Uhrmachers. Hingegen sei der Mann eher eine Swatch. Ist das nicht etwas überspitzt?

Nein, das lässt sich sogar in Zahlen aus­ drücken. Wir dürfen nicht vergessen, dass der weibliche Eierstock in der Lage ist, drei sehr komplexe Hormonsysteme zu bilden: das Östrogen, das Progesteron und die männlichen Hormone. Der Mann bildet nur ein einziges aus, nämlich das Testosteron. Bei der Frau fluktuieren diese drei Systeme ununterbrochen. Die tasten sich ab, beeinflussen sich gegenseitig und haben damit natürlich auch eine Kinetik über den Zyklus der Frauen. Der Zyklus der Frau teilt das Leben, die Biografie des weiblichen Körpers in Abschnitte – und das machen diese drei Hormonsysteme.

Scheint, als wären die Hormone ganz schön mächtig ...

Das sind sie. Sie sind das Wireless­-Sys­tem unseres Körpers. Wir haben also das Nervensystem, das entspricht den Telefon­leitungen. Dann haben wir ein kabelfreies Kommunikationssystem, Wireless, das sind die Hormone. Und die informieren das Gehirn, wie es dem Knie geht, oder der Leber geben sie Informationen über die Verdauung des Darms.

Und Frauen erleben im Lauf ihres Lebens ja nicht nur die großen hormonellen Schwankungen als Folge von Pubertät, Schwangerschaft oder Klimakterium, sondern es ist ja jeden Monat ein Auf und Ab. Können Sie unseren männlichen Lesern ein bisschen näherbringen, was sich da in unserem Körper abspielt?

In der Mitte des Zyklus, so am zwölften oder elften Tag nach der vorhergehenden Menstruation, ist der sogenannte Ei­sprung. Da wird eine Eizelle freigesetzt, und es wird das Progesteron, das größte Hormon des Eierstocks, gebildet, um im Fall des Falles alles für eine Schwanger­schaft vorzubereiten.

Was macht das Progesteron mit uns?

Es ist so etwas wie ein Neurosteroid. Das ist ein Hormon, das auch im Gehirn wirkt und dort Veränderungen hervorruft, die natürlich auch für die Erhaltung der Art wichtig sind. Besser zu schmecken, besser zu riechen am Anfang der Schwanger­schaft, Dinge zu hören, die man sonst nicht hört – das alles dient dem Schutz, der Pflege und der Aufzucht des noch nicht geborenen Kindes.

Und warum wird das Progesteron auch als „Wohlfühlhormon“ bezeichnet?

Weil es Gelassenheit schenkt, für einen guten Schlaf sorgt, Haut und Haare schön macht. Wenn jetzt keine Schwangerschaft eintritt und, zwei, drei Tage bevor die Regel dann kommt, das Progesteron des­wegen schon abfällt, dann spürt das die Frau natürlich. Und das mit Recht, weil es tatsächlich ein anatomisches Substrat ist. Das ist jetzt nicht irgendeine Einbildung. Das muss man als Mann wissen.

Was können wir gegen den Progesteron-­Abfall und seine Folgen tun?

Er lässt sich mit einem bioidenten, körper­eigenen Stoff, also natürlichem Proges­teron, abfedern.

Sie meinen eine Hormonersatztherapie. Wann sollte man einen Hormonspezialisten aufsuchen? Oder anders gefragt: Wie viel Leidensdruck ist normal?

Eine Frau soll gar nicht leiden, sie soll nicht jeden Tag zwanzig Schweißausbrüche ha­ben. Sie soll in der Nacht schlafen kön­nen, keine depressiven Verstimmungen haben, keinen hohen Cholesterinspiegel, keine Herzrhythmusstörungen, keine Ge­lenkschmerzen. Das kann alles mit der Menopause zusammenhängen. Also nur weil eine Frau in den Wechsel kommt, ist das kein Grund, Hormone zuzuführen. Aber wenn sie diese Beschwerden hat, dann ist es sicher sinnvoll, hormonell et­was zu tun.

Von Ansagen wie „Das ist ganz normal, da musst du jetzt durch“ halten Sie also nichts?

Leider wird hier immer noch sehr relati­viert, und das ist meines Erachtens falsch. In der Medizin sagt man bei keinem an­deren Syndrom, da musst du durch – aber bei den Wechseljahren hört man das im­mer wieder.

Das Hormon­ system ist also sehr komplex, und deshalb ist es auch fehleranfällig. Wo hakt es denn immer wieder einmal?

Na ja, es ändert sich oft diese schon er­wähnte Fluktuation, das Abtasten der drei Systeme ineinander. Und das kann natürlich ausgelöst werden durch Belas­tung, durch Stress, denn die Eierstöcke sind hochsensible Organe, das darf man nicht vergessen. Die registrieren sehr wohl das Umfeld der Frau – weil sie wis­sen, wenn eine Frau gefährdet ist, dann ist das nicht der richtige Zeitpunkt, sich fortzupflanzen.

Was meinen Sie mit „gefährdet“, und wie greifen die Eierstöcke dann ein?

Wenn eine Frau zum Beispiel stark an Gewicht verliert, dann hört oft die Blu­tung auf, weil der Eierstock sagt: „Ich ver­liere zu viel Gewicht, das ist kein guter Zeitpunkt für die Reproduktion.“ Oder wenn sie beginnt, ganz intensiv Sport zu treiben, dann glauben die Eierstöcke, die Frau laufe vor einem Feind davon, und hören ebenfalls zu arbeiten auf.

Reden wir kurz über die Bindungsfähigkeit. Da schreiben Sie: „Die Bindungsfähigkeit der weiblichen Seele ist so gewaltig, dass der Körper zu Großleistungen fähig wird.“ Welche Höchstleistungen sind das?

Na ja, es ist so, dass der weibliche Körper mehr in die Reproduktion eingebunden ist als der männliche und deshalb auch die Fähigkeit hat, mehr Empathie zu ent­wickeln. Darüber hinaus bleiben Mütter ihren Kindern nach der Geburt meist nicht nur emotional ein Leben lang verbunden, sondern tatsächlich auch körperlich.

Da schwirren in Müttern also tat­sächlich kindliche Zellen herum, oder wie schaut diese körperliche Verbindung aus?

Ganz genau. Man spricht da vom soge­nannten Mikrochimärismus. Chimäris­mus heißt, zwei Lebewesen sind ver­bunden. "Mikro" meint die kleinen Zellen, die während der Schwangerschaft aus­getauscht werden und die im mütterlichen Organismus oft noch sehr lange, sogar bis zum Tod, nachweisbar sind. Dieser Aus­tausch geht in beide Richtungen. Das zeigt natürlich auch, in welcher enormen Verwandtschaft sich Mutter und Kind letzten Endes befinden.

Ich hatte einen Kaiserschnitt, und ich habe in Ihrem Buch gelesen, dass mein Baby mir dabei geholfen hat, die Narbe zu heilen. Das klingt nach einem Zaubertrick. Verraten Sie uns den?

Die Stammzellen, die das Kind der Mut­ter dann schenkt, die bleiben im mütter­lichen Organismus und versuchen zu reparieren, was notwendig ist. Und wir sehen das tatsächlich oft: Wenn man beispielsweise den Kaiserschnitt am Vor­mittag macht und man macht dann am Nachmittag Visite, dann sitzt die Mutter bereits vergnügt im Bett. Wir haben das in der Vergangenheit immer auf das Kind allein zurückgeführt, also: dass sie über das Kind so erfreut ist. Die Stammzellen schauen, wo es im weiblichen Körper etwas zu reparieren gibt – wie eben einen Dammschnitt- oder Kai­serschnittnarbe – und sie gehen dorthin und kümmern sich darum. Also ein ge­nialer Mechanismus.