Paleo-Ernährung: Essen mit Ur-Menschenverstand
Janina Lebiszczak traf das wohl bekannteste Paleo-Paar der Nation zum Interview: Markus und Ivana von Walden.
Von wegen steinzeitlich: Janina Lebiszczak versucht, sich nach dem Paleo-Prinzip zu ernähren.
Die Paleo-Ernährung (abgeleitet von der Epoche des Paläolithikums) orientiert sich am Speiseplan unserer Vorfahren. Drei Monate lang Fisch, Fleisch, Gemüse, Eier und Obst in bester Bioqualität sollen sich auch auf Waage, Wohlbefinden und Schilddrüsen-Gesundheit auswirken. Auf Getreide, Zucker, stark verarbeitete Nahrungsmittel und Milchprodukte wird dabei verzichtet.
Vor ihrem Selbstversuch traf sie das wohl bekannteste Paleo-Paar der Nation zum Interview: Markus und Ivana von Walden vermitteln in ihren Workshops einen praktischen und praxisnahen Zugang für diese simple und natürliche Lebens- und Ernährungsweise.
Was ist Paleo, wie funktioniert es und welche gesundheitlichen Vorurteile hat es?
Paleo, wie wir es verstehen und auch leben, bezeichnet einen Lebensstil, der sich in allen Belangen möglichst nahe an der Natur orientiert.
Basisgedanke ist der Umstand, dass jeder von uns einen Körper besitzt, der, evolutionär gesehen, optimal an ein Leben in der Natur angepasst ist.
Unsere Körper sind auf Ur-Mensch-Niveau, unser Mindset jedoch befindet sich im modernen Dschungel unserer Zeit. Auf die Ernährung bezogen bedeutet das, dass wir weitgehend auf naturbelassene Lebensmittel ohne Zusätze oder Ersatzstoffe zurückgreifen.
Wer ist da eigentlich draufgekommen?
Der amerikanische Gastroenterologe Walter L. Voegtlin publizierte 1975 in seinem Buch „The Stone Age Diet“ erstmals zu diesem Thema. Der einzige Maßstab, den wir aber wirklich brauchen, ist die Natur selbst und ein wenig gesunder Menschenverstand.
Und wie seid ihr auf das Thema gekommen?
Durch persönliche Unverträglichkeiten bzw. spezifische Krankheitsbilder. Markus hatte jahrelang Sodbrennen, das er mit Säureblockern unterdrückte. Trotz sehr viel Sport wirkte er immer füllig und „aufgeschwemmt“, was natürlich sehr frustrierend war. Als er schließlich über das Buch von Diane Sanfillipo stolperte und sich auf das „Experiment“ einließ, war innerhalb von Tagen das Sodbrennen verschwunden und in wenigen Wochen ein körperlich gänzlich veränderter Mann zu sehen – indem er einfach das wegließ, was seinem Körper nicht guttat.
Ivana hatte schon mit 17 eine Hashimoto-Diagnose, was eine tägliche Tabletteneinnahme zur Folge hatte. Es lief im Grunde alles gut, bis sie in ihrer zweiten Schwangerschaft einen Notkaiserschnitt hatte, weil die Schilddrüse einfach nicht mehr mitspielte. Davon bewegt, recherchierte sie eigenständig, wie man auf natürliche Weise diese lebenswichtige Hormondrüse positiv beeinflussen kann. Der Weg führte sie von einer glutenfreien Ernährung zum Paleo-Autoimmun-Protokoll (AIP). Durch die passende Ernährung und einen umfassenden Lebens- und Mindset-Wandel braucht Ivana heute keine Tabletten mehr, und es sind keine Antikörper mehr in ihrem Blut nachweisbar.
Dabei ist es Ivana wichtig zu betonen, dass eine Ernährungsumstellung bei Erkrankungen kein Allheilmittel ist. Was bei ihr geholfen hat, kann bei anderen eventuell „nur“ unterstützend wirken. Daher auch ihre Bitte, selbstverantwortlich zu handeln und bei diagnostizierten Krankheitsbildern immer im engen Kontakt mit einem Arzt zu arbeiten.
Kann man sich Paleo so vorstellen wie die strenge Version von Low Carb und Clean Eating?
Eher ist das Gegenteil der Fall! Paleo, wie wir es verstehen, gibt dem Körper, was er wirklich will, und benötigt im Wesentlichen keine Ge- oder Verbote im Rahmen eines der Natur angepassten Lebensstils.
Wir kümmern uns nicht um Kalorien, Kohlenhydratmengen und Zeitfenster, in denen man essen darf.
Wir essen, wenn wir Hunger haben, auch wenn das um zehn Uhr am Abend ist. Wir essen Obst und Süßkartoffeln, wenn uns danach ist, und wir genießen unsere „Cheats“, wenn wir das möchten. Da ist absolut gar nichts „streng“. Gleichzeitig intensiviert eine möglichst naturbelassene Kost das Erlebnis und den Genuss des Essens. Es ist spannend zu erfahren, wie echte Lebensmittel schmecken und wie sie wirken.
Ist Getreide wirklich die Wurzel allen Übels? Oder doch der Zucker?
Die beiden sind voneinander nur schwer zu trennen. Letzten Endes ist jedes Kohlenhydrat auch nur ein Zucker – egal ob es aus Getreide, Karotte oder Apfel kommt. Das heißt aber nicht, dass per se jedes Kohlenhydrat schlecht ist.
Kohlenhydrate sind voll okay, wenn sie in ihrer natürlichen Form und in natürlichen, sprich in der Natur vorkommenden Mengen konsumiert werden.
Getreide ist ebenfalls ein großes Thema. Wir essen kein Getreide, einerseits wegen des Glutens, andererseits weil Getreide zwar den Bauch mit Kohlenhydraten füllt, aber es in der Natur viel sinnvollere, nämlich nahrhaftere Alternativen gibt. Zudem sind viele heutige Getreidesorten so überzüchtet, dass sie mit dem natürlichen Korn nichts mehr zu tun haben.
Wir haben für uns keinen Grund gefunden, an Getreide festzuhalten, auch nicht an glutenfreien Pseudogetreide-Sorten. Trotzdem, wir „verbieten“ niemandem etwas. Wenn jemand sein Sonntagsbrötchen haben will, es gut verträgt und eine informierte Entscheidung trifft, dieses zu essen und zu genießen, dann sagen wir nur eines: Mahlzeit!
Ist Paleo überhaupt alltagstauglich?
In Wahrheit ist es sogar extrem alltagstauglich, allerdings muss man vorher für sich einmal abstecken, was man wirklich gut verträgt, was man besser bleiben lässt und an welchen Alltagsroutinen man eventuell noch schrauben muss.
Ist das einmal in Fleisch und Blut übergegangen, lässt sich Paleo, so man das will, auch 365 Tage im Jahr problemlos leben.
Unser Zugang vereinfacht Ernährung auf angenehme Weise, weil man vieles überhaupt nicht mehr beachtet und von vielen „Ernährungs-G’schichten“ unberührt bleibt. Gleichzeitig intensiviert eine möglichst naturbelassene Kost das Erlebnis und den Genuss des Essens. Es ist spannend zu erfahren, wie echte Lebensmittel schmecken und wie sie wirken.
Wir essen, wenn wir Hunger haben, auch wenn das um zehn Uhr am Abend ist. Wir essen Obst und Süßkartoffeln, wenn uns danach ist, und wir genießen unsere „Cheats“, wenn wir das möchten. Da ist absolut gar nichts „streng“.
Müssen wir wirklich backen, kochen, leben wie ein Steinzeitmensch?
Müssen tun wir natürlich gar nichts, aber es ergibt durchaus Sinn, seinen Körper gemäß der entsprechenden „Bauartnutzung“ zu gebrauchen und diese nicht unentwegt zu konterkarieren. Ob wir uns dafür ins Steinzeitmensch-Outfit werfen müssen, bezweifeln wir stark – und tun es selbst auch nicht. Wir sind Menschen mit einem natürlichen Körper in einer modernen Zeit. Wir versuchen zu zeigen, dass man beides gleichzeitig leben kann. Im Prinzip kann sich diese Frage also jeder selbst beantworten:
Wenn ich einen Körper habe, der optimal mit viel Gemüse, etwas Obst, ein wenig Fleisch und Fisch und hochwertigen Fetten funktioniert, warum betoniere ich ihn dann unentwegt mit einer Unmenge an raffinierten Zuckern und künstlich generierten Kohlenhydraten?
Muss ich dafür ständig in der Küche stehen?
Nein, natürlich nicht. Aber kochen zu lernen und sich mit den eigenen Lebens- und Nahrungsmitteln zu beschäftigen ist sinnvoll und macht auch Spaß. Apropos Spaß: Hin und wieder darf auch der „Cheat“ Teil des Ganzen sein – warum nicht? Aber die Dosis macht das Gift.
Wer zu mindestens 80 Prozent seinem Körper nachweislich Gutes tut, dem wird dieser auch die 20 Prozent Abweichung verzeihen.
Leider leben viele dies aber genau umgekehrt, das kann auf Dauer nicht funktionieren.
Was sind die häufigsten Vorurteile, die ihr über Paleo hört?
- Die essen nur Fleisch.
- Diese Ernährungsform ist überhaupt nicht nachhaltig (wegen des hohen Fleischkonsums).
- Kann man da überhaupt noch etwas essen?
- Diese Ernährung ist sehr einseitig.
- Ich mag keine Insekten.
- Ihr esst alles nur roh?
- Manövriert man sich damit nicht in ein gesellschaftliches Abseits? Da kann man ja nie wieder zu Feiern oder mit Freunden essen gehen.
Können Menschen, die der Umwelt zuliebe wenig Fleisch essen, da überhaupt mit?
Unbedingt – Fleisch ist gerade in der Natur ein rares Gut, das meist mit relativ viel Energieaufwand produziert (= erlegt) werden kann. Weit weniger und gleichzeitig viel hochwertiger ist hier die Devise.
Alternative Eiweißquellen sind Eier, Pilze, Nüsse. Wer es nicht ganz so streng nimmt und Milchprodukte verträgt, kann auch zu Käse greifen. Dabei sollte man sich langsam herantasten und Rohmilchkäse bzw. Schaf- und Ziegenkäse probieren. Oft werden diese besser vertragen.
Was empfehlt ihr zur Ergänzung?
Sport ist prinzipiell nie verkehrt, Bewegung unterstützt die Psyche ebenso wie die Physis, allerdings werden die Auswirkungen auf die Fettverbrennung meist weit überschätzt.
Das Wichtigste ist, sich kontinuierlich zu bewegen.
Unser Körper ist zum Gehen geboren – in der Ebene, hinauf oder hinunter. Ob Waldspaziergang, Stadtbummel, Treppensteigen oder alpine Wanderung, wichtig ist die Kontinuität.
Die Ernährungsumstellung hat uns vom auch vom Mindset her viel gebracht.
Wir haben gesehen, wie wenig der Körper wirklich braucht, um sich wohlzufühlen, ohne gleichzeitig ein Gefühl des Verzichts zu spüren.
Auch materielle Dinge werden immer weniger wichtig – was nicht heißt, dass wir moderne Errungenschaften ablehnen. Wir wählen einfach viel bewusster aus, konsumieren bewusster und sagen öfter einfach Nein, danke. Das ist sehr befreiend.
Mit welchen Tricks kämpft man sich durch den Anfang?
Was definitiv hilft, ist eine gute Vorbereitung! Nicht warten, bis einen der Bärenhunger überfällt, sondern geplant kochen und einkaufen – zumindest am Anfang. Man sollte sich auch schnelle, gesunde Snacks und To-go-Gerichte überlegen und griffbereit halten. Und der Austausch mit Gleichgesinnten! Das hilft massiv.
Wenn man massive gesundheitliche Beschwerden hat, die fast über Nacht verschwinden – wie Markus’ Sodbrennen – ist das oftmals schon Belohnung genug und ein Grund dranzubleiben. Ivana hat sich zu Beginn damit geholfen, nicht alles auf einmal perfekt machen zu müssen. Sie hat anfangs viele gesunde Alternativen für Brot und Kuchen gebacken und diese dann schrittweise reduziert.
Warum soll man Milchprodukte meiden, selbst wenn man nicht unter einer Intoleranz leidet?
Wer sagt, dass man das muss? Wir sicher nicht. Im Gegenteil, gerade wir Europäer haben uns ja quasi mit unseren Nutztieren in Koexistenz entwickelt. Das bestätigt auch der Umstand, dass weitaus mehr Europäer Milchzucker vertragen als Menschen in anderen Regionen. Das ist aber natürlich kein Freibrief für uneingeschränkten und ausbeutenden Milchkonsum.
Jeder soll sich eigenständig Gedanken darüber machen, ob und wie viele Milchprodukte ihm guttun.
Ivana hat z. B. eine sehr ausgeprägte Laktoseintoleranz: Kuhmilch aus dem Tetrapack geht gar nicht, während sie Rohmilch oder Schafmilch in geringen Mengen problemlos verträgt. Markus trinkt hingegen seinen Cafè Latte mit vollem Genuss und ohne Probleme. Solange wir all das gut vertragen und es als Ergänzung zu unseren übrigen Ernährungsweise fungiert, sehen wir absolut keinen Grund, jemanden Milchprodukte schlechtzureden.
Was bestellt ihr im Restaurant?
Oh ja, diese Frage kommt ganz oft. Im Grunde dasselbe wie andere Gäste auch, nur ohne Brot, Getreide und Kartoffeln.
Es kommen Gemüse, Fisch und Fleisch auf den Teller. Beilagen tauschen wir meist durch einen zusätzlichen Salat.
Natürlich weißt du nie zu 100 Prozent, was in diesem Essen drin ist, aber man muss ja nicht päpstlicher sein als der Papst. Wir genießen einfach unser urbanes, modernes Leben in bestmöglichem Einklang mit der Natur.