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Wenn’s doch nur die Suppe wäre, wie beim Kaspar in der Geschichte vom „Struwwelpeter“. Leider verweigern Kinder mit einem hochselektiven Essverhalten aber weitaus mehr. Paul (5) mag nur rote Äpfel und eine einzige Puddingsorte, Frida (7) besteht auf bloßen Kartoffeln, und mit Marie (4) ist nicht gut Kirschen essen, wenn Obst auf dem Tisch steht. Satt werden die Kinder trotzdem, gut genährt aber nur die existenziellen Ängste der Eltern um ihren Nachwuchs – und das in Zeiten von Übergewicht, Überfluss und Überfürsorge.

Ist das nur eine Phase?

Kleine Essensverweigerer, große Sorgen. Geht’s da um Machtspielchen, sind sie nur heikel, haben sie eine Unverträglichkeit oder einfach keinen Hunger? Und vor allem: Ist das noch eine Phase oder schon eine Störung? Schließlich gibt’s auch (gesunde) Erwachsene, die Fisch nur als Stäbchen essen und Grünzeug ablehnen. Die gute Nachricht: Studien belegen, dass sich ein Kind bis zu zwei Jahre lang sehr einseitig ernähren kann und trotzdem keine signifikanten Entwicklungsverzögerungen auftreten. Zunächst gilt es also, gelassen zu bleiben.

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Weniger reden, mehr genießen

Oft ist das „angewiderte Gesicht“ von kurzer Dauer, kleine Anreize wirken manchmal Wunder. Zum Beispiel beim Kochen helfen lassen, eine Nachspeise oder nette Garnituren. Dr. Marguerite Dunitz-Scheer, Mitbegründerin der „Esslernschule“ (EAT Campus) in Graz, rät: „Kümmern Sie sich um eine attraktive Stimmung bei Tisch. Die meisten schlechten Esser sind nämlich der Spiegel von Spannungen, die beim Essen ausgetragen werden.“ Es gilt: „Je mehr am Tisch steht, desto mehr kann verweigert werden. Je mehr vom Essen geredet wird, desto mehr Wichtigkeit wird dem Thema beigemessen. Also möglichst keine verbalen Einmischungen, kein Schönreden! Sondern kommentarlos, aber wohlwollend akzeptieren, dass es das Recht des Kindes ist, seine Auswahl selbst zu treffen.“ Absolutes No-Go: „Kleinkinder, die schon gehen können, noch zu füttern. Und, noch schlimmer, sie vor der Mahlzeit ,abzufüttern‘, um danach ,in Ruhe‘ selbst zu essen.“

Verweigerung, wenn Eltern streiten

Tragen diese Maßnahmen auf längere Sicht nicht zu einem entspannteren Essverhalten bei, sollten Eltern ganz genau hinschauen. Problematisch wird es laut Dunitz-Scheer, wenn Essen „eine Störung wie Ärger, Angst oder gar eine körperliche Symptomatik verursacht“. Oder: „Wenn es Ausdruck einer Störung ist, etwas Essensverweigerung, während die Eltern streiten.“ Die Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde erklärt die Begrifflichkeiten, die oft für noch mehr Verwirrung sorgen.

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So isst mein Kind

  • Schlechte Esser sind Kinder, die den Erwartungen der sie umgebenden Erwachsenen nicht entsprechen. Sie sind nicht in der Lage, die ihnen vorgesetzte „normale“ Kost in ausreichenden Maßen aufzunehmen, sodass es mittelfristig zu Stress, Druck, Ärger, Streit und im Weiteren zu Mangel- oder sogar lebensbedrohlicher Unterernährung kommen kann.
  • Picky Eater sind Menschen mit einem ungewöhnlich hohen Bedürfnis, ihre Ernährung aktiv zu selektieren. Die Kriterien können visuell (spezielle Farben und Formen), sensorisch taktil (nur bestimmte Konsistenzen), olfaktorisch (geruchs- und geschmacksspezifisch), situationsspezifisch (es kann nur an bestimmten Orten gegessen werden) oder sozial und interaktiv (im Zusammenhang mit bestimmten Menschen) beeinflusst sein oder einen Mix aus unterschiedlichen wahrgenommenen Eigenschaften beinhalten.
  • Supertaster nehmen Geschmack mit weitaus größerer Intensität wahr als die durchschnittliche Person. Man kann das mit Menschen mit einem absoluten Gehör vergleichen. Die Eigenschaft bezieht sich meist auf eine überdurchschnittliche Wahrnehmung gegenüber bitteren und sehr fettreichen Nahrungsmitteln und wird als störend oder „Gabe“ empfunden.

Therapie in der „Werkstatt“

Die Ausprägungen eines selektives Essverhaltens sind vielfältig, zudem gibt’s „unendlich viele Überschneidungen auf individueller Ebene, sodass die sozialen, emotionalen, sensorischen, entwicklungsabhängigen und körperlichen Variablen genau analysiert werden müssen“, erklärt Dr. Dunitz-Scheer. Hilfe bieten ausgewiesene Spezialisten, allen voran in der „Esslernschule“ in Graz, wo das Problemgebiet in einer nicht nach Klinik anmutenden kleinkindgerechten Welt neu erfahren werden kann. Dunitz-Scheer: „Bei uns gibt es statt Therapie im engeren Sinne die Schmuck- und Autowerkstatt, gemeinsames Backen, Salate machen und Spaß mit und rund um das Thema Nahrungsmittel – ohne Druck auf die Frage der eigentlichen Nahrungsaufnahme im quantitativen Sinne.“ Behandelt werden auch Kinder, die aus medizinischen Gründen bisher künstlich ernährt werden mussten und das Essen und Trinken von Anfang mit ihren Eltern und einem interdisziplinären Team gemeinsam auf- und nachholen können.

Zirkus ums Essen

Spannend ist, dass die Zahl der „schlechten Esser“ in der westlichen Welt bei gleichzeitigem Nahrungsüberfluss steigt, in ärmeren Ländern aber kaum vorkommt. Das Problem ist eine Entwicklung der letzten 30 Jahre, die der Informationsflut, dem steigenden Wohlstand, einer verschwindenden Kochkultur im Alltag und einer neuen sozialen Elternrolle geschuldet ist. „Mütter haben ihre Unbeschwertheit verloren“, weiß die Expertin. „Probleme entstehen grundsätzlich dann, wenn sich Erwachsene überdurchschnittlich einmischen.“ Sprich: Der Zirkus ums (gesunde) Essen kann krank machen – auch wenn Eltern nur das Beste für ihre Kinder wollen.

*** Hier geht’s zur Homepage der weltweit ersten Esslernschule in Graz. ***