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Und? Schon eine Idee? Nein? Dann wärst du in der Antike von der Sphinx gefressen worden, die bei ihrer Belagerung von Theben alle Vorbeiziehenden vor dieses Rätsel stellte und jene verschlang, denen es ein solches blieb. Allein Ödipus wusste die Lösung dieses Gehirnjogging-Meisterwerks: Es ist der Mensch, der am Morgen seines Lebens auf allen vieren krabbelt, in seiner Blüte auf zwei Beinen steht und am Lebensabend mit dem Stock ein drittes Bein zu Hilfe nimmt.

Historisches Gehirnjogging

Wie man anhand dieser Episode aus der griechischen Mythologie sehen kann, ziehen sich Rätsel seit Jahrtausenden durch die Menschheitsgeschichte. In Form blutrünstiger Mythen wie hier, in Religionen, Märchen, Opern oder in Literatur und Dichtkunst. Sie erschreckten oder amüsierten, regten zum Grübeln oder Schmunzeln an. Sie sind, wenn man so will, eine der ältesten Kunst- und Unterhaltungsformen der Welt. Wobei: In der uns vertrautesten Form sind sie dann doch nicht ganz so betagt, denn das erste Kreuzworträtsel der Welt erschien erst am 13. Dezember 1913 in der Sonntagsbeilage der „New York World“, und es dauerte von da an noch etliche Jahre, ehe das Lösen von Denkaufgaben gemeinhin nicht mehr als sinnloser Zeitdiebstahl, sondern als kurzweilige Unterhaltung angesehen wurde.

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Seit einigen Jahren sind Rätsel aber auch Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen, weil man sie als Möglichkeit zu entdecken hofft, das Gehirn zu trainieren und länger fit zu halten. Schon vor knapp vierzig Jahren fand das amerikanische Psychologenduo Robert Sternberg und Janet Davidson heraus, dass Menschen beim Rätselraten durch die Mischung aus fantasievoller Assoziation und gespeicherten Erinnerungen im Gehirn neue Gedankengänge und Ideen produzieren können. Die Wissenschaft wurde zunehmend neugierig, denn nachzuweisen, dass Kreuzworträtsel, Sudoku oder Puzzle das Gehirn in alten Köpfen jung erhalten könnten, war schon eine sehr verlockende Aussicht.

In der Tat gibt es Studien, die Ergebnisse in diese Richtung liefern. Das französische Institut für Gesundheits- und Medizinforschung stellte 2009 fest, dass regelmäßige geistige Aktivität – etwa das Lösen von Kreuzworträtseln – die sogenannte kognitive Reserve stimuliert. Das ist die Fähigkeit des Gehirns, beim Verlust von Gehirnzellen alternative Neuronen zu nutzen. Und ebenjene kognitive Reserve ist auch Objekt der (Forscher-)Begierde, wenn es etwa darum geht, das Demenzrisiko im fortgeschrittenen Alter zu reduzieren. Mit einer „Impfung gegen das Vergessen“ kann man sie nicht vergleichen: Die kognitive Reserve bietet keinen Schutz vor Erkrankung – wohl aber vermag sie einen etwaigen Krankheitsbeginn um etliche Jahre hinauszuzögern.

Zwischen Vorsicht und Vorpreschen

Richtig hohe Wellen schlug diesbezüglich die gemeinsame Studie der University of Exeter und des King’s College London, an der im Jahr 2018 19.000 Testpersonen im Alter von 50 bis 96 Jahren teilnahmen. Studienleiterin Dr. Anne Corbett bilanzierte im Magazin „Science Daily“: „Je regelmäßiger die Teilnehmer Kreuzworträtsel oder Suokus lösen, desto besser ist ihre Gehirnfunktion. Und zwar in den Bereichen Aufmerksamkeit, logisches Denken und Merkfähigkeit.“

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Und noch während die „Wissenschaft vom Rätsel“ an selbigem knabberte und sich mit ersten Babyschritten zu neuen Erkenntnissen mühte, zog die Wirtschaft mit Siebenmeilenstiefeln vorbei. Das Geschäft mit den grauen Zellen erlebte zu Beginn dieses Jahrtausends seine goldene Zeit: Allein von 2005 bis 2013 versechsfachte sich der Umsatz mit digitalen Gehirnjogging-Angeboten weltweit von 185 Millionen auf über eine Milliarde Euro. Onlinekurse, CD-ROMs, Apps und Anwendungen für Spielekonsolen überschwemmten den Markt, und Rätseln war plötzlich so viel mehr als fünf waagerecht oder die richtige Zahl im Sudokukästchen.

Der deutsche Spielegigant Ravensburger schuf zum Beispiel eine eigene „Think“-Linie, Start-ups wie Lumosity aus San Francisco verschrieben sich ganz dem digitalen Brainbusiness und bedienten sich fürs Know-how nur der Besten. „Die sind das hochprofessionell angegangen und haben damals einen sehr tüchtigen Kollegen von mir für die Forschungsabteilung abgeworben“, erinnert sich Prof. Christian Büchel, Direktor des Instituts für Systemische Neurowissenschaften am Uniklinikum Eppendorf in Deutschland.

Aber ein Unternehmen ist keine Universität und eine Marketingabteilung kein Forscherteam, und deshalb holte die US-Handelsbehörde den kalifornischen Senkrechtstarter im Rätselbusiness wieder auf den Boden: Zwei Millionen Dollar Strafe musste Lumosity zahlen, weil man damit geworben hatte, dass Kinder bessere Schulleistungen erbringen und Symptome bei Hirntraumata oder sogar Alzheimer gelindert werden könnten. Das war dann doch des Gehirnjoggings ein bisschen zu viel der Versprechungen ...

Das Marktschreierische, das Plakative – das ist so ganz und gar nicht Sache der Rätselforscher. Zu gut wissen sie um die Fallstricke ihres Fachgebiets, zu komplex ist das Zusammenspiel im Gehirn. Statt zu poltern, bleiben sie deshalb auch dann noch betont vorsichtig, wenn sie mit eigenen Augen Wundersames sehen. Wie etwa Dr. Marcel Danesi. Der Universitätsprofessor in Toronto und Autor der Bücher „The Puzzle Instinct“ und „The Total Brain Workout“ arbeitete einmal mit hirngeschädigten Kindern in Italien und setzte dabei Rätselelemente ein. So war zum Beispiel das Wort „Tiger“ gefragt, und Danesi legte neben das Bild eines Tigers die Buchstabenfolge „Gerti“: „Ich war überrascht, wie schnell die Kinder das lösen konnten und nach gewisser Zeit ihre Leistungen beim Schreiben und Lesen grundsätzlich verbesserten.“ Danesi, durchaus vorsichtig, bezeichnete die Resultate eher als „Zusammentreffen“ denn als „Zusammenhang“.

Vielleicht sollte man aber diesen Zusammentreffen mehr Augenmerk schenken. Denn gesichert ist: Rätsel in ihren vielfältigen Formen können im Kleinen so viel bewirken! Univ.-Prof. Dr. Kathrin Marie Otrel-Cass vom Institut für Pädagogische Professionalisierung der Uni Graz bringt es auf den Punkt: „Wir lernen alle unterschiedlich, und Rätsel wirken auf verschiedene Sinneseindrücke: visuell, grafisch, als Text. Die Fähigkeit, komplexe Aufgaben zu bewältigen, hängt mit strukturiertem Denken zusammen, und Rätsel zu lösen heißt auch, herauszufinden, wie ein System funktioniert.“

Marcel Danesi ergänzt: „Rätsel spielen mit Worten, Zahlen, Formen und Logik in einer Weise, die uns dazu treibt, die Lösung zu finden, die sie verbergen. Dahinter steckt zwar nichts Neues, aber es ist die Jagd selbst, die uns antreibt, die Gehirnareale beschäftigt und letztlich eine Art Zufriedenheit bringt.“ Ob man nun das richtige Synonym beim Kreuzworträtsel, die richtige Zahl beim Sudoku oder die passende geometrische Form bei einem grafischen Rätsel findet, spielt da keine Rolle. Allein sich der Lösung an die Fersen zu heften sorgt schon dafür, dass das Gehirn die Joggingschuhe anzieht.

Gehirnjogging: Aha-Erlebnisse für die Erinnerung

Und bei all den Gehirnjogging-Rätselklassikern und den spannenden neuen Brain-Apps des digitalen Zeitalters überlebt nach wie vor die gute alte Rätselfrage, die einen zwingt, outside the box zu denken. Zum Beispiel jene: „Was gehört dir, wird aber von anderen mehr benutzt als von dir selbst?“ Mit straffer Logik in eingefahrenen Denkbahnen ist dem nicht beizukommen, und nur wenn man die gewohnte Spur verlässt, wird einem die Lösung einfallen: dein Name.

Für Marcel Danesi sind solche Aha-Erlebnisse ein wichtiger Faktor: „Eine Erinnerung bleibt viel stärker haften, wenn das Ergebnis unerwartet war.“ Manche Rätsel bleiben mehr als tausend Jahre lang haften. Wie jenes vom Reisenden, der mit einer Ziege, einem Wolf und einem Kohlkopf an einen Fluss kommt. Dort liegt ein Boot, das aber immer nur zwei transportieren kann. Der Reisende steht nun vor dem Problem: Nimmt er den Wolf mit, frisst die Ziege den Kohlkopf, nimmt er den Kohlkopf mit, macht sich der Wolf über die Ziege her, nimmt er die Ziege mit, ergibt sich dasselbe Dilemma am anderen Ufer, nach der zweiten Überfahrt. Die Lösung liegt wieder outside the box: Zuerst die Ziege, dann den Wolf und die Ziege wieder mit zurücknehmen, dann die Ziege ausladen, den Kohlkopf übersetzen und zum Schluss die Ziege holen.

Dieses Rätsel fürs Gehirnjogging stammt von Alkuin von York, einem englischen Lehrer und Dichter aus dem 8. Jahrhundert. Das Interessante daran ist, dass sich dieses Rätsel überall auf der Welt, in allen möglichen Sprachen und Kulturen, findet. Was für Marcel Danesi nur einen Schluss zulässt: „Auch wenn Menschen überall andere Sprachen sprechen, scheinen sich Rätsel über kulturspezifische Arten des Weltverständnisses zu erheben. Sie zapfen offenbar einen universellen Teil des Gehirns an und könnten Teil einer gemeinsamen menschlichen Vorstellung sein.“