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In Österreich scheint die Quarantäne fürs Erste vorbei zu sein. In Brasilien, meinem aktuellen Stopp, stecken wir noch mittendrin. Was prinzipiell mühsam ist, aber auch kein Grund zum Meckern. Immerhin haben die Maßnahmen in Südamerika später begonnen als in Europa, und da muss jeder durch.

Ich habe lange überlegt, ob ich erzählen soll, was ich den ganzen lieben, langen Tag so mache. Spoiler-Alert: Die Sache würde langweilen. Ich gehe täglich an der Strandpromenade joggen. Hüpfe – sehr zum Leidwesen des Nachbarn unter mir – bei Online-Sambastunden herum. Ansonsten klebt mein Hintern an einem Schreibtischsessel, mein zweites Buch ist fällig, und die Kapitel gehen schleppend voran.

Dann überlegte ich: Vielleicht soll ich berichten, wie meine Reisefreunde ihr „Festsitzen“ handhaben? L. zum Beispiel schleicht sich in Costa Rica oft um 4.30 Uhr zum Surfen davon, weil die Strände offiziell geschlossen wurden. Im Morgengrauen schaut keine Polizei vorbei, da trifft sie nur auf die aufgehende Sonne und ein paar Baby-Haie. Doch wenn ich ehrlich bin, nerven Quarantäne-Geschichten irgendwie, keiner kann sie mehr hören, mich eingeschlossen.

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Die Wüste Namib und ich

Sonnenuntergang in der Wüste

Bild: Waltraud Hable

Also erzähle ich von Namibia. Das war einer meiner letzten Stopps, bevor die Welt zum Stillstand kam. Und die Geschichte aus diesem wunderschönen Teil Afrikas passt auch gerade zur Situation.

Aber der Reihe nach. An der Südwestküste, vier Autostunden von Windhoek entfernt, erstreckt sich die Namib, die älteste Wüste unseren Planeten. Man kann sich nicht verirren, man muss nur einen einsamen Highway geradeaus fahren, bis man am Meer ansteht.

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Namib heißt übersetzt so viel wie ‚große Leere‘.

Namib heißt übersetzt so viel wie „große Leere“, aber ich finde, der Name ist falsch gewählt. Denn zum einen ist die Wüste voller Schönheit. Vor allem jener Teil, wo die endlosen roten Sanddünen auf den blitzblauen Atlantik treffen, scheint optisch nicht von dieser Welt. Zum anderen gibt es in der Leere viel zu entdecken. Man mag auf den ersten Blick nichts sehen, aber zum Glück gibt’s Kabili.

Das Abenteuer beginnt

Kabili ist Mitte 30, drahtig, hat eine Haut wie Bitterschokolade und beneidenswert perlweiße Zähne. Aber das Schönste an Kabili ist: Er strahlt so viel Lebensfreude aus, dass es ansteckend ist. Kaum bin ich bei ihm im Auto zugestiegen, lässt er mich wissen, dass das ein großartiger Tag wird.

„Wenn du das sagst“, lache ich. Er nickt. „In der Wüste sind die Tage immer schön.“ Kabili ist in der Namib aufgewachsen. Andere Kinder gehen schaukeln, er vertrieb sich als kleiner Junge die Zeit damit, in den Dünen nach Schlangen, Geckos, Spinnen und Chamäleons zu suchen.

Auf der Suche nach Spuren

Eine halbe Stunde lang fährt er mit mir in die Namib hinein, nur Sand, nichts als Sand, endloses Rot, Gelb und Gold, umrahmt vom Himmel. „Was suchst du, Kabili?“, frage ich, als er das Autofenster nach unten kurbelt und mit seinem Blick die flirrende Hitze scannt. „Spuren“, sagt er.

Schlange auf Wüstenboden

Bild: Waltraud Hable

Und ich sage „Aha“, obwohl ich keine Ahnung habe, worauf er schaut. „Zu alt“, murmelt Kabili, obwohl die vermeintliche Spur auch ein Schatten einer Wolke oder eine optische Täuschung sein könnte, zumindest in meiner Welt.

Irgendwann steigt Kabili aus dem Fahrzeug aus und ich folge ihm. Er beginnt zu laufen. Ich bin aufgrund der Hitze schnell abgehängt. Kabili rennt im Zickzack eine Sanddüne hoch und dann wieder hinunter, es sieht verrückt aus, so, als ob er ein unsichtbares Gespenst jagt.

Aber plötzlich kommt er triumphierend zurück. In seiner hohlen Hand ein „Wüstenkrokodil“, eine Art Echse, nicht größer als zehn Zentimeter, mit sandfarbener Haut und fast durchsichtig schimmernden rosaroten Füßchen.

Baby Chamäleon

Bild: Waltraud Hable

„Wie hast du sie entdeckt? Bist du ihr die ganze Zeit nachgelaufen?“, frage ich, während Kabili die Echse wieder vorsichtig in die Freiheit entlässt, wo sie keine drei Sekunden später nicht mehr zu sehen ist. Sie hat sich lautlos in den Sand eingegraben und ist verschwunden, obwohl sie noch in unmittelbarer Nähe ist.

Das Leben ist immer für eine Weisheit zu haben

„Ja, du musst lernen, kleinste Spuren im Sand und winzigste Bewegungen mit deinen Augen zu erkennen, es ist wie Meditation. Wir alle haben die Gabe, mehr zu erkennen, als da ist.“ 

Kabili zeigt mir an diesem Tag noch viel, das ich ohne ihn nie zu Gesicht bekommen hätte.

Schillingbaum/Dollar Tree Blatt durchgebrochen

Bild: Waltraud Hable

Er buddelt im Nirgendwo ein Sandloch und hebt ein Baby-Chamäleon heraus. Dann kitzelt er eine Schlange aus einem vertrockneten Busch. Und zu guter Letzt presst er salzig schmeckendes Wasser aus den Blättern eines Dollar Trees.

Ich hatte angenommen, alleine durch die Wüste zu stapfen. Nur ich, die Trockenheit und der endlose Himmel. „Man ist niemals allein, nicht auf dieser Welt“, sagt Kabili zum Abschied. Und er klingt dabei wie ein weiser, alter Mann, auch wenn er es rein faktisch meint.

WEITER: Warum Rio meine Seelenstadt ist